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A. Deutscher Lebensspiegel. 
heißt auf deutsch so viel als: „Ich kann Euch nicht verstehen." Aber 
der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er 
gefragt hatte. „Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannit- 
verstan," dachte er, und ging weiter. Gaff' aus, Gass' ein kam er end¬ 
lich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ei, oder auf deutsch: Das 
Ipsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, 
und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen 
durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu 
betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, 
das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen 
wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und 
nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt 
und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis ititb Pfeffer. Als er aber 
lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste ans der 
Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle 
diese Waren an das Land bringe. „Kannitverstan!" war die Antwort. 
Da dachte er: „Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder! Wem das Meer 
solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in 
die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten 
Scherben." Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige 
Betrachtung bei sich selbst an, was für ein armer Mensch er sei unter 
so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: „Wenn 
ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan 
es hat," kam er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. 
Bier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen 
Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen 
Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und' Be¬ 
kannten des Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze 
Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt 
ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten 
Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem 
Hute in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch 
machte er sich an den letzten vom Zuge, der eben in der Stille ausrechnete, 
was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 
zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treu¬ 
herzig um Entschuldigung. „Das muß wohl auch ein guter Freund von 
Euch gewesen sein," sagte er, „dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so 
betrübt und nachdenklich mitgeht." „Kannitverstan!" war die Antwort. 
Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar große Thränen aus den 
Augen, und es war ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums
	            		
1. Der Segen Gottes ist im Haus. 141 Herz. „Armer Kannitverstan!" rief er aus, „was hast du nun von all deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme, ein Totenkleid und ein Leichentuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Rose." Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, ver¬ zehrte in einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es ihm einmal wieder schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. s. p. Hrd-i. 22. Die Pfauen und die Krähe. Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfauen und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Vögel. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfauen mit scharfen Schnäbeln über sie her, ihr den betrü¬ gerischen Putz auszureißen. „Lasset nach!" schrie sie endlich, „ihr habt nun alles das Eurige wieder." Doch die Pfauen, welche einige von den eignen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: „Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein!" — und hackten weiter. Wotth. Ephraim Lesstng. 23. Sprichwörter von der Ordnung im Hause. Fleißige Frau macht hurtig Gesinde. — Das Auge der Hausfrau schafft mehr als ihre beiden Hände. — Eine Hausfrau ist keine Ausfrau. Der Herr muß selber sein der Knecht, will er’s im Hause haben recht. — Mit einem Herren steht es gut, der, was er befohlen, selber thut. — Der Herr sieht mit einem Auge mehr, als die Diener mit vieren. — Wenn der Herr kurzsichtig ist, ist der Knecht blind. — Des Herrn Auge macht das Vieh fett. — Wie der Herr, so’s Gescherr. — Wenn der Diener reich und der Herr arm wird, so taugen beide nichts. — Wer befehlen will, muß gehorchen lernen. Ordnung hilft haushalten. — Ordnung erhält die Welt. — Ordnung ist das halbe Leben. — Gebraucht die Zeit, sie geht so schnell von hinnen, doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
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