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IV. 39. Lazarus:
daß der Prahler als „leichtsinnig" und „geschmacklos" bezeichnet wird, während
der verstellte Demütige „das Ansehen von Feinheit und Anmut gewinnen
kann." Es kommt also für den Takt etwas Specifisches hinzu, welches nicht
auf die ethische Basis zurückgeführt werden kann. Für die dritte Tugend das
Prinzip und den Maßstab zu finden, inacht Aristoteles einige Versuche, welche
zu keinem Resultate führen, und schließt deshalb: „Es ist also der frei und
edel Geborene, der Mann von guter Laune und gutem Geschmack, der hierin
sein eigener Gesetzgeber sein muß: und dies ist eben der, welcher die Mittel¬
straße in Absicht der Scherze hält, man mag ihn übrigens einen witzigen
Kopf oder einen angenehmen Gesellschafter nennen."
21 Der Begriff der Mittelstraße ist aber ein durchaus unbestimmter, und
wenn man weder diese noch die Extreme als solche bestimmte Größen be¬
zeichnen kann, welche eine bestimmte Qualität einschließen, ist er in keiner
Weise maßgebend. Der taktvolle Mensch bleibt also allein der Gesetzgeber des
Taktes, und Aristoteles spricht damit die allgemeine Meinung aus, daß der
Takt etwas lediglich Individuelles sei. Allein dann kehrt eben unsere Frage
wieder: nach welchen leitenden Ideen, aus welchen inneren Gründen werden
diese Gesetze des Takts abgeleitet werden können? Denn solange wir bloß
sagen: die Regeln des Takts sind diejenigen Regeln, welche jedes taktvolle In¬
dividuum als Gesetzgeber aufstellt, bewegen wir uns offenbar im Kreise her¬
um und statt einer Erklärung des Begriffs geben wir seine bloße Wieder¬
holung.
22 Obgleich nun aber eine genügende Erklärung unseres Gegenstandes bei
Aristoteles, wie wir gesehen haben, nicht vorhanden ist, so können wir die¬
selbe doch an seine Gedanken, auf welche wir deshalb hingewiesen, anknüpfen.
23 Fassen wir zunächst noch einmal den Begriff des Takts als eine Bestim¬
mung des Maßes ins Auge, welches in jeder Handlung walten soll. Dieser
quantitative Begriff des Maßes scheint sogar etymologisch mit dem des Takts
verbunden zu sein; denn so wie jenes erste subjektive Element des Takts,
die Erkenntnis und das Herausfinden aller Umstände und Verhältnisse, welche
sich auf die Handlung beziehen, auf die psychologische Bedeutung des Wortes
als taetuL animi, als Gefühl (gleichsam Tastsinn) der Seele zurückweist, so
hängt dieses zweite objektive Element, welches den Inhalt des Takts als ein
gewisses Maß im Benehmen bestimmt, mit der musikalischen Bedeutung des
Wortes zusammen, wonach also die Handlung, die innere und äußere Be¬
wegung des Menschen in einem bestimmten, gemessenen, gleich- und gesetz¬
mäßigen Verhältnis vor sich gehen soll. Die Anwendung des Maßbegrifss
aber in dem Wesen des Takts ist eine vielfache.
Die aristotelische Mitte zwischen zweien Untugenden ist eine ganz rich-
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