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Aus „Godwie Castlc. Aus den Papieren der Herzogin von Nottingham."
(Von der Majorin Paalzow, geb. Wach, in Berlin.")
Es war um eine spätere Stunde des Nachmittags, als Lord Richmond
mit seinem Gefolge sich dem Schlosse der geliebten Großmutter nahte.
Das blühende Küstenland, das er den letzten Tag durchzogen, die Schön¬
heit der Gegend, in der er sich eben befand, und an welche sich so theure
Erinnerungen seiner Jugend knüpften, endlich der Anblick des Schlosses selbst,
das von den höchsten Zinnen seines altväterlichen Baues bis in die kleinsten
Winkel seiner inneren Räume die heiteren Bilder einer glücklichen Kindheit
ihm darbot: Alles wirkte vereint, sein Herz zu erheitern und es mit der un¬
geduldigen Sehnsucht zu erfüllen, mit der wir einem gewissen Glück entgegen¬
eilen. In fröhlicher Hast versuchte er die Schnelligkeit seines Rosses, welches,
gleich seinem Herrn die behagliche Stelle ahnend, ihn im flüchtigen Laus
vor die Thore des Schlosses trug.
Ein eisgrauer Pförtner ruhte an dem geöffneten Eingänge, und ließ
sich von den röthlichen Strahlen der herbstlichen Sonne bescheinen. Ein
Bild des tiefen Friedens, der hier zu walten schien, statt der Thore und Fall¬
gatter und geschickten Bogenschützen, die früher in dem Haushalte eines
mächtigen Herrn nicht fehlen durften, um den Eingang zu behüten. Doch
alsbald weckte den friedlich Träumenden der Hufschlag der Rosse, und lustig
schwenkte er sein Mützchen, als er in dem Nahenden den Enkel seiner gelieb¬
ten Herrin erkannte, der stets jedem Diener ein willkommener Gast war,
von welchem jeder seinen Antheil freundlicher Worte und Blicke gewiß hatte.
Geschäftig eilte er alsdann ihm in den inneren Hos voran, seine Ankunft
laut verkündend.
Hier war das bunte, heitere Leben der Geselligkeit auch unter den Die¬
nern der Gäste, welche das Schloß erfüllten, verbreitet, und die noch theil-
weis gedeckten Tische, die vollen Kannen und Becher und die heitere Stim¬
mung Aller bekundete hinreichend die freigebige Haushaltung der alten Dame.
Die neuen Gäste erhöhten nur die allgemeine Freude, und Richmond drängte
sich, langsam und freundlich die herzlichen Begrüßungen erwiedernd, bis
der großen Halle hin, in der er voll Ehrfurcht von dem ehrenwerthen Love-
lace bewillkommt ward, der, in das Innere des Schlosses ihn führend, für
die Meldung seiner Ankunft sich kurzen Verzug erbat, weil die beiden Her¬
zoginnen sich für einige Stunden zurückgezogen hatten, einer kleinen Ermü¬
dung nachgebend.
Richmond ließ von dem verlegenen Diener, der sich fast versucht gefühlt
hätte, das Gebot bei einer solchen Veranlassung zu umgehen, sich seine Zim-
*) Frau Maj. Paalzow trat 1833 mit diesem Romane, ohne sich zu nennen,
auf. Da derselbe alsbald mit großem Beifalle begrüßt wurde, so hat sie 1839
einen zweiten: St. Roche, folgen lassen, der sich eben solcher, ja fast noch
größerer Anerkennung erfreut. (Gobwie Castle ssprich Gohdwic Kassels spielt zur
Zeit der Regierung Jakob's i. von England.) Ihr dritter Roman war: Thomas
Thyrnau. Gest. 1847 in Berlin.