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Hier ist der Reim erklingt unpassend; es müßte ertönt heißen^
aber das erlaubte der Reim nicht.
Es ist nicht nöthig, daß zwei Reime dieselbe Schreibung
haben; man verlangt nur, daß sie dem Ohre als gute Reime
erscheinen; z. B. oft und hofft, los und bloß, Kreide und Haide,
todt und roth, Thränen und sehnen. Ist aber der Klang der
Reime verschieden, so sind sie unrein, z. B. stehen und mähen,
Traube und Raupe, Rede und Göthe, reisen und weißen. Doch
findet man dergleichen unreine Reime selbst bei guten Dichtern^
Z. B. bei Schiller:
Nun zerbrecht mir das Gebäude!
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Beruht der Reim nur auf der letzten Sylbe, so nennt man
ihn einen männlichen Reim. Reimen sich die zwei letzten
Sylben, so heißt er ein weiblicher Reim. Z. B. todt und
roth, Schein und nein, gut und Blut sind männliche, reiben und
treiben, leben und streben, Lehre und Meere, erzeigen und schwei¬
gen weibliche Reime. Selten enthält ein Gedicht bloß männliche
oder bloß weibliche Reime; gewöhnlich wechseln sie mit einander
ab. Bloß männliche Reime enthält folgende Strophe:
Jüngst herrscht' im heil'gen deutschen Reich
Ein Kaiser Leopold;
Fürst oder Bettler war ihm gleich,
Dem Guten war er hold.
Für Bürgerfreud' und Bürgerschmerz
War offen stets sein Kaiserherz;
Zu seinem Thron kam Jung und Alt
Im frohen Glauben hingewallt.
Mit bloß weiblichen Reimen:
Wie Heut' sich enden wird, was Morgen bringen,
Ich weiß es nicht; doch streu' ich gerne Saaten.
Sie lasse Lust und Boden dann gerathen!
Durch meine Trägheit soll es nicht mißlingen.
Eine dritte Art von Reimen find die gleitenden. So
nennt man diejenigen, welche aus drei Sylben bestehen, z. B.
waltende und schaltende, schwebende und hebende, siegelten und