Erster Abschnitt.
Lyrische Poesie.
Alle schönen und erhabenen Gefühle können lyrische Gedichte
erzeugen; denn unedle Empfindungen, wie Neid, Rache, Bos¬
heit, können wohl das Gemüth der Menschen aufregen, aber nie
eine Begeisterung hervorbringen, die im Stande wäre, sich poetisch
auszudrücken; der Mensch, in dessen Brust Rache kocht, wird nie
vermögen oder geneigt sein, seine unedlen Empfindungen in einer
bilderreichen und edlen Sprache wiederzugeben. Sobald ein schönes,
edles Gefühl stark genug ist, Begeisterung zu erzeugen, so hebt
das Gedicht an, und es endigt, sobald die Begeisterung nachläßt,
oder wenn sie zu stark wird, um sich in Worte fassen zu lassen.
Die Gefühle des menschlichen Herzens können aber sehr mannig¬
faltig sein; Ereignisse im menschlichen Leben, Nachdenken, Be¬
trachtung der Natur, Religiosität, auch Leidenschaften können
sehr verschiedene Gefühle hervorbringen. Daher giebt es auch
verschiedene Arten lyrischer Gedichte. Ganz anders äußert sich
das Gefühl der Freude, als das der Bewunderung, der Betrüb¬
niß, der Wehmuth, der Hoffnung, der Theilnahme, der Fröm¬
migkeit, der Reue u. s. w. Ebenso sind auch die Gefühle in Hin¬
sicht ihrer Stärke sehr verschieden; von der größten Heftigkeit
steigen sie durch unzählige Stufen bis zu solcher Schwäche herab,
daß diese zuletzt nicht mehr im Stande ist, Begeisterung zu erzeugen.
Bei Unterscheidung der Lyrik in ihren einzelnen Gattungen kann
man entweder die äußere Form des lyrischen Erzeugnisses in's
Auge fassen; oder das Verhalten des dichtenden Subjektes zu
seinem Objekt. In diesem Fall unterscheidet man nur drei
Gattungen: das Lied, die Ode und die Elegie; je nachdem
der Dichter ganz und gar auf dem Boden der Empfindung bleibt,
die Stimmung walten läßt; oder mit der Größe des Gegen¬