26 III. Mittelhochdeutsche Zeit. A. Erste Blütezeit der deutschen Dichtung.
Schien Jagd und Wild ihm mehr zur
Lust zu taugen.
Hin lief sogleich er voller Freude
210 Zu seiner Mutter Herzeleide,
Ausführlich ihr, was von den Helden
Er sah und hörte, zu vermelden.
Doch hatt' er kaum das Wort begonnen,
Warf sie der Schreck in Ohnmacht hin;
2 I 5 Und als die Kraft sie rückgewonnen,
Rief aus mit Graun die Königin:
„O wehe deiner Lippen Laute,
Weh mir nun, wehe! Wer vertraute,
Mein Sohn, dir das ?" Doch unbefangen
220 Entgegnet' er: „Lieb' Mutter mein,
Als ich heut' früh zum Wald gegangen,
Sah' ich vier Männer, und ein Schein
Ging ans von ihnen hell und licht,
So licht wie Gottes Angesicht.
225 Die sagten mir von Ritterschaft,
Und wie des Königs Artus Kraft
Mich kann mit Ritters Ehren
Zum Schildesamt bekehren."
Da hub sich neuer Jammerruf,
230 Wie einst des Gatten Tod ihn schuf.
Dennoch erbat der Knabe wert
In Einfalt sich sogleich ein Pferd,
Schleunigst zu Artus hinzureiten.
Die Königin sah mit tiefem Gram,
235 Wie es umsonst, ihn abzuleiten
Von seinem Willen. Doch sie kam
Auf eine List, wie nach den: Scheiden
Ihm sei die Ausfahrt zu verleiden.
Drum klug erwägend, wie geneigt
240 Zum Spott sich stets die Menge zeigt,
Sprach sie: „Zu allgemeinem Hohn
Soll Narrenkleider nun mein Sohn
An seinem lichten Leibe tragen.
Wird er geneckt, gerauft, geschlagen,
245 So kehrt er wohl von selbst zurück."
Drum Hemd und Mütz' in einem Stück
Ward ihm aus Sacktuch zugeschnitten,
Und an der Mütze Zipfel band
Nach rechten Narrensitten
Man einen Kuckuck allzuhand. 250
Bon rauhem Kalbsfell ward sodann
Ihm eine Hose angethan;
Und als er so zur Fahrt bereit,
Begann die Frau in ihrem Leid:
„Mein lieber Sohn, nun höre 255
Aufmerksam meine Lehre:
Du mußt auf ungebahnten Straßen
Die dunkeln Furten liegen lassen;
Doch siehst du seicht sie, hell und rein,
So reite nur getrost hinein! 260
Du mußt dich schicklich stets betragen,
Niemandem deinen Gruß versagen,
Und wenn ein grauer, weiser Mann
Dich Zucht will lehren, nimm dir's an:
Verarg' ihm nicht, was er dir sprach, 265
Vertrauend thu und gern danach!
Dann, Sohn, laß dir empfohlen sein:
Wenn gutes Weibes Ring und Grüßen
Du kannst erringen, geh drauf ein:
Das wird dir manches Leid versüßen! 270
Und endlich sollst du wissen:
Der übermüt'ge Lähelin
; Hat deinem Fürsten frech und kühn
Zwei Lande jüngst entrissen,
Wo du nur solltest Krone tragen, 275
Waleis und Norglas, hat erschlagen
Deinen Fürsten Turkentals,
! Der sie in Treuen dir gehütet.
! Mit Mord und Brand hat er gewütet
! Im Land, viel deines Volks getötet." 280
Der Knabe hier: „O! will es Gott,
So trifft ihn schwer mein Gabilot."
Nun ließ nach König Artus nicht
Die Sehnsucht länger mehr ihn weilen,
Und mit des Morgens erstem Licht 285
Stieg er zu Roß, hindann zu eilen.
Die Kön'gin küßt' ihn, ging ihm nach,
Folgte mit den Augen ihm weit.
Und als er entschwunden — o weh
dem Tag! —
Da brach ihr Herz vor Jammer und
Leid. 290