Full text: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

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Jahre mit Bettlern und Gaunern sei herumgezogen, daß sie es zuletzt 
in St. Peter haben sitzen lassen, und daß es allein über St. Märgen 
gekommen sei und jetzt da sei. Als der Tagelöhner mit den Seimigen 
zu Nacht aß, setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als 
es Zeit war zu schlafen, setzte es sich auf die Ofenbank und schlief 
auch; so den andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: 
ich kann das arme Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, 
so schwer es mir ankommt, eins mehr zu füttern. Aber am dritten 
Tag sagte er zu seiner Frau: „Frau, ich will’s doch auch dem Herrn 
Pfarrer anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des 
armen Mannes, der Hausfreund auch; „aber das Mägdlein," sagte 
der Pfarrherr, „soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst 
werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine 
Mutter suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden 
und gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiele, der selber wenig 
Kinder hat, und der Hausfreund weiß just nicht, wie er’s dem 
Manne sagte. „Peter," sagt er, „wollt Ihr ein Geschenk annehmen?" 
— „Nachdem’s ist," sagte der Mann. — „Es kommt von unserm 
lieben Herrgott." — „Wenn’s von dem kommt, so ist’s kein Fehler." 
— Also bot ihm der Pfarrer das verlassene Mägdlein an und erzählte 
ihm die Geschichte dazu, so und so. Der Mann sagte: „ich will 
mit meiner Frau reden. Es wird nicht fehlen." Der Mann und die 
Frau nahmen das Kind mit Freuden auf. „Wenn’s gut tut," sagte 
der Mann, „so will ich’s erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber 
verdienen kann. Wenn’s nicht gut tut, so will ich’s wenigstens 
behalten bis ins Frühjahr. Denn dem Winter darf man keine Kinder 
anvertrauen." Jetzt hat er’s schon viermal überwintert und viermal 
übersommert auch. Denn das Kind tat gut, ist folgsam und dankbar 
und fleißig in der Schule, und Speise und Trank ist nicht der größte 
Gotteslohn, den das fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die 
christliche Zucht, die väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege. 
Wer das fremde Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, 
sollt’ es nicht erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es 
gekleidet. So etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den 
braven Taglöhner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen 
nennen, wer sie sind und wie sie heißen. Aber über seinen Mund 
kommt’s nicht.
	        
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