Full text: [Bd. 3 A = Oberstufe für Knaben, (7. - 9. Schulj.)] (Bd. 3 A = Oberstufe für Knaben, (7. - 9. Schulj.))

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Die ungeheure Wärme, die der Mond während des laugen 
Tages einsaugt, strahlt in der Nacht schnell wieder aus, weil der 
Mond nicht wie die Erde ein atmosphärisches Gewand hat, das die 
Wärme zurückhalten kann. Während der langen Mondnacht herrscht 
deshalb eine fürchterliche Külte. 
Endlich kündigt die Halbmondsform der Erde den Anbruch 
des Morgens an. Im Osten erhebt sich wieder der obere Rand 
der Sonnenscheibe über den Horizont, im Nu fangen die hohen 
Berggipfel ihre Strahlen auf — und ein neuer Tag säugt an. Ein 
Tag, ganz wie der vorhergehende und wie alle nachfolgenden. Auf 
dem Monde kennt man den Wechsel der Jahreszeiten nicht, Tag 
und Nacht sind zugleich Sommer und Winter. Der eine Tag ver¬ 
geht wie der andere; nur Licht und Dunkelheit, Hitze und Kälte 
bringen Abwechslung in die Einförmigkeit. 
Das ist der Mond, eine Welt, auf der Stille, Ruhe und Un¬ 
veränderlichkeit herrschen. Die Dichter haben ihn besungen, schwär¬ 
mende Herzen haben zu ihm als ihrem Freunde und Vertrauten 
hinanfgeschaut — bei näherer Beobachtung aber zeigt er sich, als 
wäre er ein lebloser Abguß von Schwefel oder Gips. Der Mond 
ist tot, und war er je die Wohnung für ein Geschlecht wie das 
nnserige, dann ist auch dieses Geschlecht tot. Eine Ruine von dem, 
was er einst gewesen, eine Sammlung ausgeworfener Schlacken, ein 
ausgebrannter Vulkan, der stumm und still wie das Grab seine 
Augen starr auf feinen Herrn, die große Erde, richtet — das ist 
der Mond, so nahe bei uns und doch so verschieden von allem, was 
wir kennen. 
1 ^4* 3>tC bCV atente* Von Friedrich Rittelmeyer. 
S)lsHe Abende, wenn die Arbeit der Menschen zu Ende geht, zieht 
herauf die stille Herrlichkeit der Sterne. Aber viele Menschen 
sehen kaum jemals im Leben zum Sternenhimmel empor; viele 
andere haben hundertmal emporgeblickt und doch kaum je etwas 
von der Predigt der Sterne vernommen. 
Der große Engländer Carlyle ging einmal abends mit einem 
Freunde unter dem nächtlichen Sternenhimmel hin nach Hause. 
„Ein herrlicher Anblick!" sagte der Freund. „Mensch," erwiderte 
Carlyle, „er ist wahrhaft erschreckend!" 
Ich wollte, daß alle, die so leichthin vom „wunderschönen 
Sternenhimmel" reden, erst einmal von diesem Schrecken Carlyles 
etwas erlebt hätten! Warum Schrecken? 
Wir wollen zunächst etliche Zahlen reden lassen, denn auch 
Zahlen können gauj gewaltige Predigten halten. Denken wir uns
	        
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