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Die ungeheure Wärme, die der Mond während des laugen
Tages einsaugt, strahlt in der Nacht schnell wieder aus, weil der
Mond nicht wie die Erde ein atmosphärisches Gewand hat, das die
Wärme zurückhalten kann. Während der langen Mondnacht herrscht
deshalb eine fürchterliche Külte.
Endlich kündigt die Halbmondsform der Erde den Anbruch
des Morgens an. Im Osten erhebt sich wieder der obere Rand
der Sonnenscheibe über den Horizont, im Nu fangen die hohen
Berggipfel ihre Strahlen auf — und ein neuer Tag säugt an. Ein
Tag, ganz wie der vorhergehende und wie alle nachfolgenden. Auf
dem Monde kennt man den Wechsel der Jahreszeiten nicht, Tag
und Nacht sind zugleich Sommer und Winter. Der eine Tag ver¬
geht wie der andere; nur Licht und Dunkelheit, Hitze und Kälte
bringen Abwechslung in die Einförmigkeit.
Das ist der Mond, eine Welt, auf der Stille, Ruhe und Un¬
veränderlichkeit herrschen. Die Dichter haben ihn besungen, schwär¬
mende Herzen haben zu ihm als ihrem Freunde und Vertrauten
hinanfgeschaut — bei näherer Beobachtung aber zeigt er sich, als
wäre er ein lebloser Abguß von Schwefel oder Gips. Der Mond
ist tot, und war er je die Wohnung für ein Geschlecht wie das
nnserige, dann ist auch dieses Geschlecht tot. Eine Ruine von dem,
was er einst gewesen, eine Sammlung ausgeworfener Schlacken, ein
ausgebrannter Vulkan, der stumm und still wie das Grab seine
Augen starr auf feinen Herrn, die große Erde, richtet — das ist
der Mond, so nahe bei uns und doch so verschieden von allem, was
wir kennen.
1 ^4* 3>tC bCV atente* Von Friedrich Rittelmeyer.
S)lsHe Abende, wenn die Arbeit der Menschen zu Ende geht, zieht
herauf die stille Herrlichkeit der Sterne. Aber viele Menschen
sehen kaum jemals im Leben zum Sternenhimmel empor; viele
andere haben hundertmal emporgeblickt und doch kaum je etwas
von der Predigt der Sterne vernommen.
Der große Engländer Carlyle ging einmal abends mit einem
Freunde unter dem nächtlichen Sternenhimmel hin nach Hause.
„Ein herrlicher Anblick!" sagte der Freund. „Mensch," erwiderte
Carlyle, „er ist wahrhaft erschreckend!"
Ich wollte, daß alle, die so leichthin vom „wunderschönen
Sternenhimmel" reden, erst einmal von diesem Schrecken Carlyles
etwas erlebt hätten! Warum Schrecken?
Wir wollen zunächst etliche Zahlen reden lassen, denn auch
Zahlen können gauj gewaltige Predigten halten. Denken wir uns