422
Das Land ist schwach bevölkert, denn die Arbeiterjugend aus
den Dörfern zieht regelmäßig nach London, so daß nur die Alten
zurückbleiben, deren Kräfte kaum ausreichen, das Land kümmer¬
lich zu bestellen. Die Leute finden in der Stadt ein viel besseres
Los und rücken in einträgliche Stellen vor, während sie es auf dem
Lande, wo sie keinen Besitz haben oder erwerben können, zu
nichts bringen. Und doch ist hier in den östlichen Grafschaften
so ziemlich der einzige Ackerboden Englands. Getreidefeld stößt
an Getreidefeld; unabsehbar wogt das Korn in der endlosen,
stillen Ebene. Die alten, mächtigen Dome, die oft weithin das
Land beherrschen und durch ihre Schönheit verklären, steigern
noch den feierlichen Charakter.
4. Das ändert sich plötzlich, wenn wir in die mittleren Graf¬
schaften und vollends in den Norden und Nordwesten kommen.
Hier breitet sich der Bergbau- und Fabrikbezirk vor uns aus.
Dieser dicht bevölkerte Teil, der seine Bedeutung erst seit 100
bis 150 Jahren, seit der Umwälzung der Technik durch die Dampf¬
maschine, erlangt hat, ist nichts als eine große, ununterbrochene
Fabrik, die Tag und Nacht nicht stille steht. Die einzelnen Ort¬
schaften sind kaum voneinander geschieden; sie bilden ein zu¬
sammenhängendes Ganzes, ringförmig um die Mittelpunkte der
Industrie gelagert, je näher diesen, um so dichter. In diesen
Gegenden ist eine neue Bevölkerung wie aus dem Boden heraus¬
gewachsen; kleine Dörfer, unbewohnte Plätze sind oft zu Städten
von mehreren Zehn- oder Hunderttausend geworden.
Die Industrien haben meist ihre gesonderten Bezirke: in
Birmingham ist die Messerindustrie, in Staffordshire die Töpferei
vertreten; Leicester und Nottingham haben große Schuhwerk¬
stätten; zugleich sind hier und in Yorkshire, in dem Gebirgszuge,
der die Mitte Englands durchschneidet, die großen Kohlenlager; die
Grubenindustrie gibt trotz der andern dieserLandschaft ihr Gepräge.
Im Osten, um Leeds und Bradford, herrschen die Wollindustrie und
Kammgarnspinnerei, im Westen, in und um Manchester, unbestritten
die Baumwollspinnerei, die Hauptindustrie Englands. Dazu kommt
noch das große Eisenbahnnetz in diesen Fabrik- und Kohlen¬
distrikten und der überseeische Handel, vor allem im Westen,
in Liverpool und Manchester, und in Hüll. In diesen Gegenden ist
keine Ruhe noch Rast. Da hämmert, bohrt, schlägt, webt, arbeitet
es Tag und Nacht. Hier sieht man, mit welcher Anstrengung und
Geschicklichkeit England arbeitet, wie fieberhaft alle Fasern an¬
gespannt, wie stark alle Kräfte in Mitleidenschaft gezogen sind.