Full text: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

hatten auch schon freundliche Leute ihre Not gesehen. Der Besitzer eines 
Gartens, dessen hohe Mauer an dieser Stelle die Straße begrenzte, stand 
auf dem breiten Mauerrand und betrachtete das Menschengewühl zu seinen 
Füßen. Er hatte die Knaben bemerkt, ihr vergebliches Bemühen, aus 
der Enge herauszukommen, beobachtet und wollte ihnen Helsen. Als er 
nun den Untenstehenden zurief: „Heben Sie mir doch einmal die Knaben 
herauf!" waren sofort kräftige Arme bereit, und ehe sich's die Knaben 
versahen, wurden sie, einer nach dem andern, herausgehoben aus der 
Enge hinauf ans die freie, luftige Gartenmauer. Der Besitzer forderte sie 
auf, sich in einer Reihe aus der breiten Malier niederzusetzen, und sagte 
ihllen noch, sie sollten sich vor dem Hinunterfallen hüten und, wenn sie 
alles gesehen hätten, durch seinen Garten auf die Straße gehen. Unsere 
Jungen versprachen alles mit den vergnügtesten Gesichtern von der Welt, 
machten sich's bequem auf der Mauer, ließen die Beine nach der Straße 
hinunterhängen und betrachteten sich das buntbewegte Bild, das sich vor 
ihnen ausbreitete. 
War das ein herrlicher Platz! Von hier aus konnten sie die ganze 
Kreuzbergstraße überschauen: die sich hin- und herschiebenden Menschen¬ 
massen, die mit Fahnen geschmückten Häuser und die mit Schaulustigen 
dicht besetzten Fenster. 
Unterdessen war es elf Uhr geworden. Häufig ritten Ordonnanzen und 
Schutzleute die Straße entlang, und plötzlich ging ein Gemurmel durch 
die Menge. „Sie kommen! Sie kommen!" rief man sich zu. Und wirk¬ 
lich, die Kreuzbergstraße herab kam eine glänzende Reiterschar. Voran 
ritten Schutzleute, dann kamen die Gardekürassiere mit ihren glänzenden 
Adlerhelmen und Brnstharnischen. Ihnen folgte eine Reihe hoher Offi¬ 
ziere. Und nun mußte auch der Kaiser kommen; denn vom oberen Teile 
der Straße hörte man laute Hochrufe herabschallen. Dort wurden auch 
schon Mützen und Hüte geschwenkt. 
Jetzt kam der Kaiser. Von vielen Fürstlichkeiten und Offizieren um¬ 
geben, ritt er der Fahnenkompagnie voran. Unsere Jungen erkannten ihn 
sofort; denn jeder hatte ihn schon einmal unter den „Linden" vorbeifahren 
sehen; noch niemals aber hatten sie ihn so lange Zeit und so genau an¬ 
schauen können. Sie schwenkten ihre Mützen und riefen über die Kopse 
der Menschenmenge hinweg dem Kaiser ihr Hurra! entgegen. Und nun 
geschah etwas, was unsere Jungen ihr Leben lang nicht vergessen werden. 
Als nämlich der Kaiser in die Nähe der Gartenmauer kam, schaute er 
hinüber und sah sich die Reihe der Schuljungen an. Er hörte ihr 
begeistertes Hurra und sah ihr Mützenschwenken. Lachend sagte er etwas
	        
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