Full text: [Teil 2 = Kl. 7] (Teil 2 = Kl. 7)

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und dabei lachte sie in sich hinein; man kann es niemals einer Stopf¬ 
nadel ansehen, wenn sie lacht. Da saß sie nun so stolz wie in einer 
Staatskutsche und sah nach allen Seiten! 
„Mit Erlaubnis zu fragen, sind Sie von Gold?" fragte sie die 
Stecknadel, die ihre Nachbarin war. „Sie haben ein herrliches Äußere 
und einen eignen Kopf; aber klein ist er nur! Sie müssen sich Mühe 
geben zu wachsen; denn nicht ein jedes wird mit Siegellack betröpfelt!" 
Und damit richtete sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe, daß sie 
aus dem Tuche fiel, gerade in den Gossenstein, den die Köchin ausspülte. 
„Nun gehen wir auf Reisen!" sagte die Stopfnadel. „Wenn ich 
nur nicht verloren gehe!" Aber sie ging wirklich verloren. 
„Ich bin zu fein für diese Welt!" sagte sie, als sie im Rinnsteine 
lag. „Aber ich weiß, wer ich bin, und das ist immer ein kleines Ver¬ 
gnügen!" Und die Stopfnadel behielt ihre stolze Haltung und verlor 
ihre gute Laune nicht. 
Und es schwamm allerlei über sie hin: Späne, Strohhalme und 
Stücke von alten Zeitungen. „Seht nur, wie sie segeln!" sagte die 
Stopfnadel. „Die wissen nicht, was unter ihnen steckt! Ich stecke, ich 
sitze hier fest! Sieh, da geht nun ein Span, der denkt an nichts in 
der Welt als an sich selbst, an einen „Span!" Da treibt ein Stroh¬ 
halm, nein, wie er sich dreht, wie er sich wendet! Denk doch nicht bloß 
an dich selbst; du könntest leicht an einen Stein stoßen. Da schwimmt 
ein Stück Zeitung! was darin steht, ist längst vergessen, und doch spreizt 
sie sich! Ich sitze geduldig und still. Ich weiß, wer ich bin, und das 
bleibe ich auch!" 
Eines Tages lag etwas dicht neben ihr, das glitzerte so prächtig, 
da glaubte die Stopfnadel, daß es ein Diamant sei; aber es war ein 
Flaschenscherben, und weil es glänzte, so redete die Stopfnadel es an 
und stellte sich als Busennadel vor. 
„Sie sind wohl ein Diamant?" 
„Ja, so etwas der Art!" Und da glaubte eines vom anderen, es 
wäre etwas recht Kostbares; und sie sprachen davon, wie doch die Welt 
so hochmütig sei. 
„Ich bin bei einer Mamsell in der Schachtel gewesen," sagte die 
Stopfnadel, „und diese Mamsell war Köchin; an jeder Hand hatte sie 
fünf Finger; etwas so Eingebildetes wie diese Finger habe ich nie gesehen, 
und sie waren doch nur da, um mich aus der Schachtel zu nehmen und 
wieder in die Schachtel zu legen!" 
„Waren sie denn vornehm?" fragte die Flaschenscherbe.
	        
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