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Die körperlichen und geistigen Kräfte eines einzelnen Mannes würden
zur Leitung einer größeren Truppenmasse nicht ausreichen. Die
Offiziere des Generalstabes müssen den Kommandierenden über den
Zustand der Truppen auf dem Laufenden erhalten, besonders über
den Grad ihrer Ausbildung, über ihre Bekleidung, Ernährung und
Unterkunft; sie müssen Nachrichten über fremde Heere einziehen,
die eingezogenen Nachrichten sichten und zusammenstellen; sie müssen
alle Pläne des Kommandierenden in Befehle umwandeln, damit der
Kommandierende seine ganze Kraft den großen Zielen widme; sie
müssen im Kriege Tagebücher über die Kriegsereignisse führen, Gefechts¬
berichte fertigstellen und alle Angaben, die für die Kriegsgeschichte
wichtig sein könnten, zusammenstellen usw.
Als Chef des Generalstabs hatte Moltke erstens den Generalstab
auszubilden und zu ergänzen, zweitens die Arbeiten des Generalstabs zu
verteilen und zu leiten, drittens, sobald ein Krieg drohte, die Kriegs¬
pläne zu entwerfen und den Aufmarsch der Truppen vorzubereiten, um
viertens im Kriege dem Kommandierenden mit Rat zur Seite zu stehen.
Mit welchem Glück Moltke die beiden ersten Aufgaben gelöst
hat, ergibt sich aus dem vornehmen Geiste und der hohen Geschick¬
lichkeit, welche seine Offiziere auszeichneten. Seine glänzende Be¬
fähigung zum Feldherrn hat er in drei ruhmvollen Kriegen bewährt.
In jeder Lage erkannte Moltke schnell und sicher das Wesentliche,
die Anforderungen, welche sie stellte, und die Mittel, um jenen
Anforderungen am leichtesten zu genügen.
Seine Pläne waren fest auf ein Ziel gerichtet und verfolgten
dasselbe mit eiserner Stetigkeit. Zugleich aber war er beweglichen
Geistes und wußte schnell seine Pläne und Maßnahmen zu ändern,
wenn es durch eine Veränderung der Sachlage geboten war. Den
glänzendsten Beweis dafür liefern die Unternehmungen jenseits der
Maas nach den Schlachten bei Metz im Jahre 1870.*)
Stets waren die zu verfolgenden Ziele und die verfügbaren
Kräfte von Moltke richtig gegeneinander abgewogen; niemals wurden
unmögliche Aufgaben gestellt. Wo den deutschen Armeen der Angriff
gegen eine überlegene Zahl auferlegt wurde, wie 1866 in West¬
deutschland und durchgehends in den Kämpfen gegen die französische
Republik, verlieh ihnen ihr innerer Wert das Übergewicht.
Moltke ließ sich nicht beirren durch die Herz und Sinne
bestürmenden Eindrücke des Krieges, durch die körperlichen An¬
strengungen und Entbehrungen, durch das Elend und die Leiden
der Mitmenschen, durch die beständige Ungewißheit und Unsicherheit der
Lage, durch die schwere Last der Verantwortlichkeit oder durch die
Sorge um seinen Feldherrnruhm; stets bewahrte er seine Besonnenheit.
Mit dieser Besonnenheit war eine Tatkraft verbunden, welche
sich in Augenblicken der Entscheidung zu hoher Kühnheit steigerte,
ohne ihn doch je zu einer Unbedachtsamkeit hinzureißen.
*) Die angeführten Beispiele sind erst dann verständlich, wenn man eine
Übersicht über die Kriege von 1864, 66 und 70 bis 71 gewonnen hat. Aber das
Buch bietet diesen Abschnitt hier, um nicht später vom geraden Weg der Erzählung
zu häufig abweichen zu müssen.
6*