96
Nicht weniger gut als bei Luther gefiel es unferm Slüter
be: Melanchthon. So schwer das Griechische und hebräische
auch war, bei einem solchen Lehrer wurde das Lesen des
Alten und Neuen Testaments beinahe zum Spiel.
Als Slüter ungefähr zwei Jahre in Wittenberg gewesen
war, kehrte er, mit Wissenschaft reich beladen und für die
Luthersche Lehre stark begeistert, nach Mecklenburg zurück,
hter regierten damals zwei Fürsten, nämlich Heinrich der
Friedfertige, der ein Freund des neuen Glaubens war, und
Albrecht der Schöne, der es mit den Katholiken hielt. Durch
Heinrichs Gunst erhielt Slüter eine Lehrstelle an der Kirchspiel*
schule von St. Peter in Rostock. Z)er neue Lehrer freute sich
wie ein König, daß er jetzt auch den Glauben, das Vaterunser
und die Gebote den Kindern auslegen und erklären durfte.
Noch größer wurde feine Freude, als er vom Herzog Heinrich
zum Prediger von St. peter ernannt wurde. Gr trachtete
nun danach, auch so schlicht und einfach zu den gewöhnlichen
Leuten zu reden, wie Luther es fo meisterhaft verstand. Darum
sprach er in seiner predigt plattdeutsch; und so betriff auch der
einfältigste Mann, was Slüter über die neue Lehre zu sagen
wußte. Die Zahl seiner Hörer wuchs. Besonders die kleinen
Bürger und Handwerker sowie die Arbeiter, namentlich auch
viele Frauen drängten sich in seinen Gottesdienst, wie einst
die phartfäer und Schriftgelehrten mit Neid auf den Herrn
Jesus und die Scharen seiner Begleiter sahen, so hier die
katholischen priester auf Slüter. Doch vorläufig hatte dieser
noch Ruhe. Als er aber auf der Kanzel verkündigte, daß vom
Ablaß und der Messe nichts in der heiligen Schrift stünde,
da gerieten zahlreiche priester und Mönche der Stadt in
mächtigen Aufruhr; und einer sprach zum andern: „Sollen
wir uns solchen Ketzerprediger noch länger in Rostock gefallen
lassen? hinweg mit ihm!" Und einer von ihnen setzte sich hin,
schrieb ein kleines Buch über die Messe, stellte acht Thesen
darüber auf und verlangte jetzt von Slüter, daß er sich über
die Sätze vor allen Professoren mit ihm streiten solle. Slüter
verfaßte eine Gegenschrift und war zu einem Religionsgespräch
über die Messe bereit. Allein der Rostocker Rat verbot den
Streit, vielleicht weil er glaubte, daß es zwischen den Anhängern
des alten und des neuen Glaubens zu argem Zwist und zu
Unruhen in der Stadt kommen könnte. So unterblieb das
Gespräch, weil aber die Gegner Slüters ihn nicht im öffent¬
lichen Redestreit hatten bekämpfen dürfen, so gingen sie jetzt
mit andern Mitteln gegen ihn vor. (Eines Abends, als er
noch eifrig in feinem Zimmer arbeitete, hörte er plötzlich ein
Geräusch auf dem Flur, wie er hinausleuchtete, erblickte er
mehrere vermummte Gestalten, welche blitzschnell ein Beil aus
ihrem Mantel hervorzogen und auf Slüter eindringen wollten.