Full text: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für katholische Präparandenanstalten

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Standes war er ungeduldig und begriff meistens erst spät seine Notwendig¬ 
keit. Widerspruch und Widerstreit der Gedanken und Worte hat niemand 
mehr gereizt und an Tüchtigen geachtet, als eben er. In solchem Kampfe 
der Geister — nur geschwind und mit kurzen Blitzhieben mußte er geführt 
5 werden — fühlte er sich ganz auf seinem Gebiete. Heftig, auch hart ist 
er oft gewesen, gegen die Heuchler und Schurken unerbittlich, gegen 
Schwache und Blöde zuweilen verletzend; auch Zorn hat ihn übereilt; Groll 
und Rache hat aber sein edler Mut nie gekannt, und den Guten und 
Braven, gegen welche er durch sein geschwindes Urteil oder ein rasches 
10 Wort je einmal gesündigt hatte, hat er laut und still, durch Worte und 
mit dem Herzen immer gern Wiedererstattung getan. Wie sein ganzer 
Sinn in Deutschland und Preußen und in der Erinnerung und Hoffnung 
des geliebten Vaterlandes lebte und webte, wie er dafür den letzten Tropfen 
von Leben und Vermögen jeden Augenblick freudig geopfert hätte, so war 
15 der starke und helle Strahl seines Charakters auch ganz deutsch ausge¬ 
schmiedet. An Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, Offenheit hat kein Mensch ihn 
übertreffen; er sah und wandelte strack und grad vor sich hin. Das war 
sein Glaube, daß durch Wahrheit, Einfalt, Redlichkeit alle Dinge allein 
gewonnen werden sollen und erhalten werden können, und daß kein Weg, 
20 der irgend krumm sein muß, Segen bringe. Das war sein Spruch: „Es 
darf nichts getan werden, was nicht grad und offen getan werden kann.“ 
Also offener Weg, hohe Zwecke und reine Mittel zu den Zwecken. 
Seinen Stand und die Vorzüge desselben erkannte und schätzte er; 
den alten deutschen Ritter, den weiland sendbar (gerichtsfähig) freien und 
25 unmittelbaren, kaiserlichen Reichsmann fühlte er; auch teilte er manche 
Ansichten und Vorurteile seines Standes mit seinen Genossen; und wenn 
er in der neuen Zeit frisch gehandelt und gelebt hat, so hat er schon durch 
die Zeit, worein seine Jugendbildung gefallen, einem Alter angehört, von 
dessen Art und Sitte bei den in dem letzten Jahrhundert Geborenen be- 
30 greif lieber Weise kaum eine Ahnung sein kann. Er fühlte seinen deutschen 
Ritter und Stolz auf graue Ahnherren, alten Besitz und altes Geschlecht; 
aber er hatte diesen Ritter auch über die Wirklichkeit erhoben. Ihm sollte 
der Edelmann sein der Ewigrüstige, der Immergewappnete, der durch Rat 
und Tat für König und Vaterland Wirksame; ihm sollte der Landherr 
35 sein der tapfere, einfache Landmann, der erste Bauer, ein Beispiel von 
Arbeit, Ordnung, Sparsamkeit, Zucht, mit der Hand und mit dem Kopf 
und mit allen seinen Kräften der Gemeine, dem Kreise und der Land¬ 
schaft angehörend. Und so war, lebte und wirkte der Mann auch, streng 
in seinen Grundsätzen, einfach in seinen Sitten, enthaltsam und mäßig in 
40 seinen Genüssen, sparsam in seiner Haushaltung, im kleinen schonend, ge¬ 
winnend, erhaltend, damit er im großen und für große Zwecke stets viel 
zu verwenden hätte. Den faulen oder den in Eitelkeit und Zwecklosigkeit 
sein Leben verbringenden Mann, den, der unter dem Schatten der Arbeiten 
und Verdienste der Ahnen bloß des nichtigen Genusses pflegte, verachtete
	        
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