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Nische Recht, wie es vor seiner Vermischung mit dem römischen Rechte
bestanden hatte; die älteste derartige Sammlung ist das salische Rechts¬
buch der Franken, welches, von den Merowingern herrührend, unter
Karl dem Großen erweitert und verbessert wurde. Ihm schließen sich eine
Reihe von Rechtsbüchern der verschiedenen deutschen Staaten, mehr oder
weniger mit römischen Elementen vermischt, an, wie die der Friesen,
Angelsachsen, Alemannen, Sachsen u. a. m. Als die wichtigste
unter diesen Gesetzessammlungen, und als die am tiefsten, und mit
schöpferischem Geist durchdachte, gilt das Rechtsbnch der Westgothen,
in welchem römisches und deutsches Recht schon zu einem untheilbaren
Ganzen verwoben ist.
Diesen Volksrechten gegenüber bildeten sich die sogenannten Kapi¬
tularien (Rechte der Könige) aus, welche hauptsächlich politische und
polizeiliche Verordnungen enthielten, und aus welchen später die eigent¬
lichen Reichsgesetze hervorgingen. Als bei der größeren Entwickelung
des staatlichen Lebens die bisherigen Elemente der deutschen Rechtsverfassung
nicht mehr ausreichten, erschien eine neue Gattung deutsch geschriebener
Rechtsbücher, d. h. gesammelte Gebräuche, Verordnungen, Urkunden, oder
Gesetzesentwickelungen und Folgerungen über Kaiser-, Lehn-, Fürsten-,
Städte- und Volksrecht. Die Weisthümer, der Sachsenspiegel
für den nördlichen, der Schwabenspiegel für den südlicheren Theil
von Deutschland sind die wichtigsten dieser Erscheinungen, an welche
sich denn wieder kleinere, mehr in's Detail gehende Werke dieser Art
anschlossen.
Mit der Lehre des Evangeliums trat nicht minder das geistliche
oder „kanonische Recht" in den Kreis der Studien und fand, wie man
sich denken kann, zahlreiche Freunde und Bearbeiter. Was den praktischen
Rechtsgang betrifft, so wurde das uralte Volksgericht schon unter
den karolingischen Kaisern mehr und mehr beschränkt und die Entscheidung
in die Hände der Richter und Schöffen gelegt. Doch blieb Oeffent-
lichkeit, Mündlichkeit und persönliches Erscheinen der Parteien die
Grundlage der Gerichtsverfassung. Neben dem Eide, Urkunden und
Zeugenaussagen waren durch das ganze Mittelalter Gottesgerichte
(Or da lien) und gerichtliche Zweikämpfe in Uebung und leider galten
Folter und Rad für unentbehrliche Mittel zur Rechtspflege.
Andere Seiten geistiger Bestrebungen boten sich in den philosophischen
Studien, zu welchen, nach dem Untergange der Kultur des Alterthums,
das Christenthum einen neuen Hang erweckte. Es war natürlich, daß, da
die gelehrte Bildung doch immer noch vorzugsweise in den Händen der
Geistlichkeit sich befand, die philosophischen Untersuchungen sich einzig auf
die Fragen der christlichen Glaubens- und Lehrsätze bezogen, und deshalb
den Namen Schulweisheit, Scholastik erhielten. Man bediente sich
hierzu der von Aristoteles aufgestellten Denkgesetze, erfand eine Menge
von Formeln und Schulausdrücken, und gerieth zuletzt auf spitzsindige