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und den Uebrigen, denen Allen es ein Wunder dünkte. Aber auch die in
Hennebont konnten nicht begreifen, wie ihre Dame dies Unternehmen er¬
sonnen und es auszuführen gewagt hatte. Sie waren die ganze Nacht in
großer Unruhe, weil weder die Gräfin noch irgend einer ihrer Begleiter
zurückkehrte. Wenn sie sich nicht zu rathen und zu helfen wußten, so war
dies kein Wunder.
Des andern Morgens hielten die französischen Herren, welche ihre
Zelte verloren hatten, Rath, daß sie unter den Bäumen Obdach nehmen
und in Zukunft sich klüger verhalten wollten. Sie zogen sich mit großer
Mühe näher an die Stadt heran und sprachen zu denen in der Stadt
also: „Gebet Eure Gräfin nur auf! Gewiß, sie ist verloren; Ihr werdet
sie nur in Stücken wieder finden." Wenn dann die in der Stadt solche
Worte hörten, wurden sie sehr bestürzt und fürchteten, daß ihrer Dame
ein großes Unglück begegnet sein möchte. Sie wußten nicht, was sie den¬
ken sollten, weil sie nicht kam, und auch keine Nachricht von ihr eintraf.
So blieben sie fünf Tage lang. Die Gräfin, welche wohl dachte, daß
ihre Leute in großer Unruhe und Sorge um sie sein würden, ruhte indeß
nicht, bis sie 500 wohlbewaffnete und berittene Leute gesammelt hatte.
Mit ihnen ging sie von Brest um Mitternacht weg, kam bei anbrechendem
Tage an der rechten Seite des feindlichen Heeres vorüber und ließ sich
die Pforte in das Schloß Hennebont öffnen, durch welche sie unter großem
Jubel, Trompeten* und Trommelschlag ihren Einzug hielt.
Die Herren aus Frankreich wurden dadurch unsanft aus dem Schlaf
geweckt. Sie bewaffneten sich und liefen gegen die Stadt, um zu stürmen;
die drinnen aber gingen daran, sich zu vertheidigen. Der heftige Sturm
dauerte bis Nachmittags und die Belagerer verloren mehr als die Bela¬
gerten. Da hörte der Sturm eudlich auf, denn die Leute wurden getödtet
und verwundet ganz umsonst. Daraus zogen sich die Herren zurück.
§. 5. Wissenschaftliche Bestrebungen. — Universitäten.
Was den Stand der Rechts- und Gesetzeswissenschaft betrifft,
so war die Abfassung von Gesetzbüchern in Deutschland seit den
Zeiten der Völkerwanderung und der Eroberung der römischen Provinzen
durch germanische Stämme in fortwährender Entwickelung begriffen. Schon
der Ostgothenkönig Theoderich, Sigismund von Burgund und
Alarich, der berühmte Westgothenkönig, hatten Gesetzbücher nach dem
römischen Rechte aufzeichnen lassen, welches den eroberten Ländern
unter der Herrschaft der Deutschen geblieben war, und theilweise auch auf
diese überging, besonders durch den Einfluß der Geistlichkeit, welche
durchgängig dem römischen Rechte unterworfen war. Nicht minder
sammelten deutsche Fürsten die alten deutschen Gesetze, das germa-