Full text: [Bd. 2, [Schülerband]] (Bd. 2, [Schülerband])

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Schneegesimses in der Höhe, der Tritt einer Gemse, eines Hasen, ja, das 
Schneebällchen, das von einem Strauche fällt und fortrollt, oder irgend 
eine Lufterschütterung, etwa durch Peitschenknall oder Schießen, bringt 
das ganze neue, obere Schneefeld in Gang; es rutscht erst langsam in 
einem Stücke fort, reißt dann die tieferen Massen mit, stiebt aus, teilt 
sich. Das Dröhnen der Massen durch die klare Luft und der entstehende 
Windzug führt von allen Seitenhalden noch andere Stürze herbei. Mit 
rasender Eile, immer furchtbarerer Wucht und dröhnendem Gepolter 
wälzt sich der Hauptstrom der Tiefe zu, hat schon die Holzregion als 
breite, hoch getürmte Sturmflut erreicht, reißt Steine, Büsche mit sich 
und bricht krachend in den Wald. Du siehst nichts als donnernde, 
sprühende Nebel; unendliche Schneestaubwolken verhüllen den Gang des 
Stromes, dessen ganze Bahn raucht; aber die Bäume krachen, das Fels¬ 
gestell bebt, die Zinnen hallen im Donner des Sturmes lange, bange 
Minuten — noch ein Schlag und zitterndes, knirschendes, dumpfes, un- 
aussprechliches Gepolter — dann ist es stille. Ein schneidender Luftzug 
hat den stolzen Gang der Lawine begleitet. Du schaust ihr nach; ge¬ 
radeaus, über zwei Stunden lang, Hunderte von Schritten breit geht 
ihr frisches Kanalbett durch Alpenweiden, Wälder, Wiesen bis an den 
Bach tief unten im Tal; noch rollen einzelne Ballen und rutschen kleinere 
Stürze nach, noch schwankt der durchbrochene Hochwald im Winde der 
Verheererin. Vom Tale aus gesehen ist die Katastrophe malerischer, 
doch entdeckt man selten die Anfänge. Der sich ausbreitende, mit Riesen¬ 
kräften wachsende, wasserfallgleich über die Felswände stürzende, hoch¬ 
aufrauchende Strom, wie er sich oft teilt und wieder vereinigt, die Seiten¬ 
arme aufnimmt, ein wallendes, flutendes, glänzendes Meer in pfeil¬ 
schnellen: Schusse mit allen weitreichenden Seitenwindungen, gewährt 
ein unaussprechlich großartiges Bild. Wenige Minuten und die Tochter 
der Hochalp liegt nach einem schauerlichen Tanze friedlich und bewegungs¬ 
los in der Talwanne. Tausende von Metern hat sie im siegreichen Donner¬ 
gange zurückgelegt und ihren Leib majestätisch in die fliegenden, weißen 
Gewänder gehüllt um bald im Schoße des Talbettes mit gelösten Gliedern 
zu ruhen. 
Der Luftsturm, außerhalb dessen scharf abgegrenzter Streichungs¬ 
linie sich kein Blatt regt, ist, wenn die Schneemasse sehr groß war, von 
unglaublicher Stärke. Es werden von bewaldeten Bergabhängen Hun¬ 
derte, ja, Tausende von Bäumen niedergeworfen. Einem solchen Lawinen¬ 
sturm entgeht nichts, selbst nicht die Vögel, die oft mitten im Fluge von 
dem heftigen Luftzug erstickt und tot in die unteren Täler hinabgeworfen 
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