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Da klagt die Königin, daß ihre Tochter dem Helden versagt worden
sei, der solche Männer vertrieben habe. Die Tochter selbst möchte den
Mann sehen, von dem so viel gesprochen wird. Am Pfingstseste, wo sie
mit ihren Jungsrauen zu Hofe kommt, gelingt ihr dieses nicht vor dem
Gedränge der Gaffer rings um die glänzenden Fremdlinge. Als es in
der Kammer still ist, geht ihre Dienerin Herlind zu Rother, um ihn zu
der Königstochter zu bescheiden. Er stellt sich scheu, läßt aber seine Gold¬
schmiede eilends zwei silberne Schuhe gießen und zwei von Gold. Von
jedem Paare einen, beide für denselben Fuß, schickt er der Königstochter.
Bald kehrt Herlind zurück, um den rechten Schuh zu holen und den Helden
nochmals zu laden. Jetzt geht er hin mit zwei Rittern, setzt sich der
Jungfrau zu Füßen und zieht ihr die Goldschuhe an. Während dessen
fragt er sie, welcher von ihren vielen Freiern ihr am besten gefalle. Sie
antwortet ihm, sie wolle immer Jungfrau bleiben, wenn nicht Rother ihr
Gemahl werde. Da spricht er: „Deine Füße stehen in Rothers Schoß."
Erschrocken zieht sie den Fuß zurück, den sie in eines Königs Schoß ge¬
setzt hat. Gleichwohl zweifelt sie noch. Um sie von der Wahrheit seiner
Worte zu überzeugen, beruft er sich auf die gefangenen Boten.
Darauf bittet sie ihren Vater um Erlaubnis, die armen Gefangenen
baden und kleiden zu dürfen. Des Lichtes ungewohnt, zerschunden und
verschwollen, entsteigen diese dem Kerker. Der graue Berchter sieht, wie
seine schönen Kinder zugerichtet sind; doch wagt er nicht zu weinen. Als
sie darauf an sicherem Orte, wohlgekleidet, am Tische sitzen und ihres
Leides ein wenig vergessen, schleicht Rother mit der Harfe hinter einen
Vorhang. Sein Lied erklingt. Wer gerade trinken wollte, der gießt es
auf den Tisch; wer Brot schnitt, dem entfällt das Messer. Vor Freuden
sinnlos sitzen sie und horchen, woher das Spiel komme. Laut erklingt
das 'zweite Lied, da springen ihrer zwei über den Tisch, grüßen und
küssen den mächtigen Harfner. Die Jungfrau sieht daraus, daß dieser
Dietrich wirklich König Rother ist.
Fortan werden die Gefangenen besser gepflegt. Sie werden sogar
ledig gelassen, als Dietrich sie verlangt, um Amelot von Babylon zu be¬
kämpfen, der mit großem Heere gegen Konstantinopel heranzieht. Rach
gewonnener Schlacht wird Dietrich mit den Seinigen zur Stadt voraus¬
gesandt, um den Frauen den Sieg zu verkündigen. Er meldet aber, Kon¬
stantin sei geschlagen und Imelot komme, um die Stadt zu zerstören. Die
Frauen bitten ihn, sie zu retten, und er führt sie zu seinen Schiffen. Als
die Königstochter das Schiff bestiegen hat, stößt es ab; Dietrich giebt
sich als Rother zu erkennen und fährt in die Heimat, begleitet von den
Segenswünschen der Königin, die ihren Lieblingswunsch erfüllt sieht, da
ihre Tochter des gewaltigsten Königs Frau geworden ist.