Full text: Prosa aus Religion, Wissenschaft und Kunst (Band 2, [Schülerband])

I. Keügion. 
1. Die Propheten des 3Uten Sundes. 
Karl Marti, 
Geschichte der israelitischen Religion3. Straßburg 1897. S. 121 ff. 
Es ist eine ganz neue Macht, die mit Amos und seinen Nachfolgern in Israel auf 
den Plan tritt; mit ihm beginnt eine neue Phase des Prophetentums, und eine so 
urwüchsige Kraft spricht aus ihm, daß er mit niemand sich vergleichbar weiß, obschon 
man ihm den gleichen Namen (nabi — Prophet) wie den früheren Propheten gibt. 
Die erste Stufe in der Entwicklung der Propheten bildeten die Scharen ekstatischer 
Schwärmer, wie sie am Ende der Richterzeit auch in Israel auftauchten, ihre Aufregung 
noch durch rauschende Musik steigernd das Land durchstreiften und manche in ihren Kreis 
zu ziehen vermochten. 
Um die Zeit des Propheten Amos war diese Stufe in Israel eigentlich längst ver¬ 
schwunden; es waren an ihre Stelle schon in Elias Tagen die Prophetengenossenschaften 
getreten, „das ruhige, abgeklärte Produkt jener fliegenden Vereine". Die Mitglieder 
hießen „Prophetensöhne", d. h. Prophetenjünger oder besser Genossen der Prophetenzunft. 
An der Spitze stand eine hervorragende Persönlichkeit als ihr „Vater", d. h. Meister, 
dem die übrigen gehorchten, der aber andrerseits ihnen auch in jeder Not beistand. Mit 
Weissagen verdienten sie ihr Brot, und öfters standen sie auch in politisch und religiös 
bewegten Zeiten an der Spitze oder doch im Dienste solcher Bewegungen. So war es, 
als Jehu sich wider das Haus Ahabs empörte, das dem Dienste des Lyrischen Baals 
Vorschub geleistet hatte. Diese Prophetenzünfte bildeten die zweite Stufe in der Geschichte 
des israelitischen Prophetentums. Wie die ursprünglich kanaanitische Erscheinung begeisterte 
Baalsverehrer umfaßte, so hatte sich der gleiche Geist und die gleiche Art den Jahwe¬ 
dienern mitgeteilt; und auch in dieser zweiten Stufe waren die Zunftgenossen eifrige 
Kämpfer für den Dienst Jahwes geblieben. 
Mochten sich auch einige der Mitglieder dieser Genossenschaft über das gewöhnliche 
Niveau erheben, wie vor allem Elia, nicht an diese knüpft die neue Phase an, welche 
mit Amos beginnt, sie ist sich vielmehr bewußt, von ihnen durchaus verschieden zu sein. 
Als Amos in Bethel den Untergang des Hauses Jerobcams II. und seiner Heiligtümer 
verkündigt und deswegen von dem dortigen Priester Amazja, der ihn für einen Genossen 
der Prophetenzunft ansieht, geheißen wird, doch lieber in Juda sein Brot mit Weissagen 
zu suchen, antwortet er: „Ich bin kein Prophet, auch gehöre ich nicht zur Propheten¬ 
zunft, sondern von Jahwe bin ich von meiner Herde weggerufen, um als Prophet an 
Israel seine Botschaft auszurichten." (Amos 7.) Er ist also ein Prophet, aber in 
Heydtmann-Clausnitzer, Lesebuch II. 1
	        
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