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Welche die Kriege hervorrufen; ohne sie würden die Völker in Friede und Freundschaft
nebeneinander wohnen. Was nun vorweg die besitzende Klasse betrifft, — und das ist
ja doch eine sehr große, sie umsaßt in gewissem Sinne nahezu die ganze Nation, denn wer
hätte nicht etwas zu verlieren? — die besitzende Klaffe hat ja allerdings ein Interesse
an allen Einrichtungen, welche jedem seinen Besitz gewährleisten. Aber, meine Herren,
die Fürsten und überhaupt die Regierungen sind es wirklich nicht, welche in unseren
Tagen die Kriege herbeiführen. Die Zeit der Kabinettskriege liegt hinter uns, — wir
haben jetzt nur noch den Volkskrieg, und einen solchen mit allen seinen unabsehbaren Folgen
heraufzubeschwören, dazu wird eine irgend besonnene Regierung sich sehr schwer ent¬
schließen. Nein, meine Herren, die Elemente, welche den Frieden bedrohen, liegen bei
den Völkern. Das sind im Innern die Begehrlichkeit der vom Schicksal minder begünstigten
Klassen und ihre zeitweisen Versuche, durch gewaltsame Maßregeln schnell eine Besserung
ihrer Lage zu erreichen, eine Besserung, die nur durch organische Gesetze und auf dem
allerdings langsamen und mühevollen Wege der Arbeit herbeigeführt werden kann. Von
außerhalb sind es gewisse Rationalitäts- und Rassenbestrebungen, überall die Unzufriedenheit
mit dem Bestehenden. Das kann jederzeit den Ausbruch eines Krieges herbeiführen ohne
den Willen der Regierungen und auch gegen ihren Willen; denn, meine Herren, eine
Regierung, welche nicht stark genug ist, um den Volksleidenschaften und den Partei¬
bestrebungen entgegenzutreten, — eine schwache Regierung ist eine dauernde Kriegsgefahr.
Ich glaube, daß man den Wert und den Segen einer starken Regierung nicht hoch genug
anschlagen kann. Nur eine starke Regierung kann heilsame Reformen durchführen, nur
eine starke Regierung kann den Frieden verbürgen.
Meine Herren, wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre wie ein
Damoklesschwert über unsern Häuptern schwebt, — wenn dieser Krieg zum Ausbruch
kommt, so ist seine Dauer und sein Ende nicht abzusehen. Es sind die größten Mächte
Europas, welche gerüstet wie nie zuvor gegen einander in den Kampf treten; keine der¬
selben kann in einem oder in zwei Feldzügen so vollständig niedergeworfen werden, daß sie
sich für überwunden erklärte, daß sie auf harte Bedingungen hin Frieden schließen müßte,
daß sie sich nicht wieder aufrichten sollte, wenn auch erst nach Jahresfrist, um den Kampf
zu erneuern. Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg
werden, — und wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte in das
Pulverfaß schleudert!
Nun, meine Herren, wo es sich um so große Dinge handelt, wo es sich handelt
um, was wir mit schweren Opfern erreicht haben, um den Bestand des Reiches, vielleicht
um die Fortdauer der gesellschaftlichen Ordnung und der Zivilisation, jedenfalls um
Hunderttausende von Menschenleben, da kann allerdings die Geldfrage erst in zweiter
Linie in betracht kommen, da erscheint jedes pekuniäre Opfer im voraus gerechtfertigt.
Es ist ja richtig, was hier mehrfach betont worden, daß der Krieg selbst Geld und
abermals Geld fordert, und daß wir unsere Finanzen nicht vor der Zeit zu Grunde
richten sollen. Ja, meine Herren, hätten wir die sehr großen Ausgaben nicht gemacht
für militärische Zwecke, für welche der Patriotismus dieses Hauses und der Nation die
Mittel gewährt hat, so würden allerdings unsere Finanzen sehr viel günstiger liegen,
als es gegenwärtig der Fall ist. Aber, meine Herren, die glänzendste Finanzlage hätte
nicht verhindert, daß wir bei mangelnden Widerstandsmitteln heute am Tage den Feind
im Lande hätten; denn lange schon und auch jetzt noch ist es nur das Schwert, welches
die Schwerter in der Scheide zurückhält. Der Feind im Lande — nun, wir haben das
zu Anfang des Jahrhunderts sechs Jahre lang getragen, und Kaiser Napoleon konnte