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97. Die Ameisen.
Harald Othmar Lenz. Gemeinnützige Naturgeschichte. Gotha.
Im Juli und August legen große, ungestörte Ameisen¬
haufen zuweilen neue Kolonien an. Sie beginnen meist vor¬
mittags, wenn die Witterung gut und nicht allzu heiß ist. Es
kommen sodann ganze Heereszüge aus dem Mutterhaufen her¬
vor, lauter Junge, die an ihrer helleren Farbe kenntlich sind.
Voran ziehen verschiedene Weibchen. Geflügelte sind nicht da¬
bei, auch tragen sie keine Puppen mit sich. Am Platz der
Niederlassung teilen sie sich in die Arbeit; die einen beschäftigen
sich mit Ausgrabung der Höhlen und Gänge, also mit dem
eigentlichen Bau, die anderen aber tragen unaufhörlich die
Erde heraus; denn ihre Wohnung besieht aus lauter hohlen
Gängen und Kammern, die alle eine Gemeinschaft zusammen
haben. Die Wohnungen sind verschieden, weil sich die Ameisen
jederzeit nach der Beschaffenheit des Bodens richten. Ist er
fest und zusammenhaltend, so gleicht ihre Wohnung öfters
einem Badeschwamm, und die Kammern und Gänge sind so
nahe aneinander, daß die Wände ganz dünn sind und man
sich über die erstaunliche Arbeit und Geschicklichkeit dieser kleinen
Tierchen wundern muß, wenn man eine solche Wohnung senk¬
recht durchschneidet. Ist hingegen der Boden locker und sandig,
so werden die Wände sehr dick gebaut. Die in der Erde künstlich
ausgeführte Wohnung wird von oben entweder mit Erd¬
krümchen oder einer Menge kleiner Dinge, wie Aststückchen,
Knospen, Fichtennadeln u. s. w., überwölbt. Manche wohnen
auch in Holz, welches sie durchlöchert haben. Von der Wohnung
aus bilden sie bestimmte Straßen, welche auch oft die Bäume
hinanführen, oder graben Tunnels selbst unter Flüssen hinweg.
Auf diesen Straßen weichen sich Gehende und Kommende un¬
aufhörlich aus und machen sich sicherlich durch Berührung mit
den Fühlern Mitteilungen; sind erstere hungrig, so lassen sie
sich oft von letzteren, indem sie dieselben anhalten, füttern. In
eine solche Straße darf sich keine Ameise von fremden Haufen
wagen, sonst wird sie heftig angefallen und wohl gar erwürgt.
Wirft man fremde Ameisen in einen Haufen, so gibt es eben¬
falls heftige Balgerei; ,so groß auch oft die Anzahl eines Haufens
ist, so kennen sie sich doch untereinander gar wohl.