Die neue Heimat im Osten. 
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mãächtige Grobstadt, eine Residenz der Arbeit, dio Königin des 
Reviers. Und nun gar Essen! Essen, das zu Anfang des 19. Jahr- 
hunderts noch ein geistliches Stift war und nur 3400 Einwohner 
ãhlte, Essen, das „ein Geschenk der Kohlen“ und eine Schöpfung 
genialen Unternebmungsgeistes ist. Es mub; in Essen vor 100 
Jahren nicht hübsch gewesen sein. Justus Gruner hat eine nicht 
eben anziehende Schilderung von Essen hinterlassen. „Allen Be— 
quemlichkeiten des Lebens mubß man hier entsagen. — Schmutzi- 
gere Geschöpfe und gröbere Wirte trifft man in ganz Deutschland 
nicht an. — Da man gern reichestädtischer Bürger sein möchte, 
so glaubt man diesen Titel dureh Grobheit verdienen zu müssen ... 
dchiefe, schlecht gepflasterte Gassen, altmodische, zum Teil ver- 
fallene Gebäude, Unreinheit, Enge und Dunkelheit sind die Alter- 
tumszeugnisse. Bei dem gänzlichen Mangel an Beleuchtung ist ein 
Gang abends lebensgefährlich, indem sich häufig gerade in der 
Mitte und an den dSeiten des Weges grobe Pfähle befinden, auf 
die man losrennen mulßò. Polizei jeder Art ist in Essen fremd.“ 
Und in dieser Tonart geht es weiter über den städtischen Haus— 
halt, die schlechten Schulen, die Streitigkeiten der Gerichte usw. 
Welceh ein Gegensatz zum heutigen Essen! Welch eine riesen- 
hafte Entwicklung in der kurzen Spanne eines Jahrhunderts! Das 
aber unterscheidet doch bei mancher sonstigen Ahnlichkeit den 
Ruhrbezirk von amerikanischer Entwicklung, daß sich der ver— 
blüffende Fortschritt hier von dem Hintergrunde einer ehrwür— 
digen und alten Geschichte abhebt. Alteste und modernste Spuren 
und Denkmäler berühren sich hier unmittelbar. Mitten im Treiben 
des Dortmunder Bahnhofs erhebt sich die ehrwürdige, pietätvoll 
geschonte Femlinde über dem steinernen Tisch und der Bank des 
dtuhlrichters. Aaus modernen Straßen gelangt man in vielen 
dtãdten des schwarzen Reviers zu „alter Kirchen ehrwürdiger 
Pracht“, wo halbverwitterte Grabmãäler und noch heute in köst- 
licher Farbenpracht funkelnde Glasgemälde uns in längst ver— 
gangene Tage mitten hineinversetzen. Und ein Stück aus den 
lãrmenden Städten hinaus stoben wir auf alte, verfallene Stamm- 
burgen, die von den Höhen herab trotzig auf die Hochburgen der 
modernen Arbeit und die reichen Wohnhäuser der modernen Han- 
delsherren herabblicken. 
Ein merkwürdiges Land, ein Land mit eigenen Häbßlichkeiten 
und eigenen Schönheiten, ein Land der Gegensätze, dies Land, 
„wWo der Märker Eisen reckt“! 
R. H. Die Post). 
160. Die neue Heimat im Osten. 
Dem jungen Bauer Karl Becker war durch drängende, gewinn— 
süchtige Gläubiger das Gut versteigert worden.
	        
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