bald der Edelmann, der für die Vergehungen seiner Väter furchtbar
heimgesucht ward. Da tönt im Liede bald das Schicksal des Ritters,
dessen Herrensitz in Flammen rauchte, bald donnernde Flüche gegen
die Aufrührer, die in ihrem Rachewahnsinn jedes menschliche Gefühl
verloren halten. 5
Damit ist bereits das Gebiet des rein historischen Liedes betreten.
Es behandelt die großen Ereignisse der Zeit mit scharfer Parteifarbe
für und gegen den Helden. Die Niederlage Herzog Ulrichs von Würt¬
temberg ward von den Seinen in Liedern beklagt, von der feindlichen
Partei mit Siegesgefühl besungen. Sickingen und Hutten wurden u>
schon bei Lebzeiten zu Helden des Volksliedes, und Luther bald von
seinen Feinden mit den rohesten Schmachliedern beworfen, bald von
protestantischer Seite verteidigt und auf den Schild gehoben. So hört
man im Volksliede die kriegerische und geistige Bewegung der Zeit
widerklingen, ja, man empfängt aus diesem Liederreichtum ein so 15
lebendiges Bild, wie es keine absichtliche Darstellung treuer hätte
wiedergeben können.
Neben der bunten Vielgestalt des weltlichen Liedes findet sich
auch das religiöse Volkslied verbreitet. Das Volksgemüt ist an sich
gläubig; wie hätte in Zeiten, wo jede Empfindung zum Liede wurde, 20
der Erguß frommen Gebetes nicht auch in diese Form strömen sollen?
In der römischen Kirche fehlte es nicht an Anregung dazu. Gemein¬
same Wallfahrten zu Gnadenbildern oder an Heiligentagen forderten
zum Gesang auf. Schon im vierzehnten Jahrhundert singen die
Geißelbrüder bei ihren Umzügen Lieder, die von der Stimmung des 25
Augenblicks hervorgerufen wurden. Die Entfaltung sinnlichen Reizes,
den die Kirche den Augen bot, wirkte mächtig auf die Phantasie und
rief Lieder hervor, in welchen das religiöse Gefühl sich wiederum mit
sinnlicher Glut ausspricht. Leider stört die meisten geistlichen Volks¬
lieder eine weltliche, oft törichte Bildersprache, und nur in wenigen, so
besonders in einigen Oster- und Weihnachtsliedern, findet die Empfin¬
dung einen einfachen, zum Herzen sprechenden Ausdruck.
44. Wie die Sprache altes Leben fortführt.
Rudolf Hildebrand. Beiträge zum deutschen Unterricht. Leipzig 189"
Was ich meine, kann am kürzesten die Fensterscheibe klar machen,
die ich in der Schule oft benutzt habe, um den folgenden Gedanken¬
gang da anzuknüpfen. Ich verwies die Schüler auf die Fenster in
der Klasse; der Gang der Gedanken, der sonst in abstrakter Ferne