Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

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greife, der sei auch rasch und gewaltig zum Fleiße. Man erzählt von 
einem Bauern, der aus mehreren Bewerbern einen Knecht wählen wollte, 
er habe sie nur zur Probe essen lassen; der sich am angestrengtesten 
mit Löffel und Gabel getummelt hatte und die Kinnbacken wie einen 
Nußknacker arbeiten ließ, erhielt den Dienst als Preis des Fleißes. 
Wie soll ein solcher Bauer an den Fleiß der Stadtleute glauben, die 
essen und dabei zierlich kaum den Mund bewegen, so insgeheim, als 
ob sie jeden Bissen gestohlen hätten! 
„Arbeit" zielt der Urbedeutung nach auf die Handarbeit zunächst 
beim Landbau; des Wortes Stamm soll mit arar6, pflügen, auf gemein¬ 
samer Wurzel sitzen, und der Bauer, der im März in Hemdärmeln 
pflügt, wird eine Arbeit, wobei man nicht schwitzt, selten als rechte 
Arbeit begreifen. Geht er an andern Feldarbeitern vorüber, dann ist 
sein freundlichster Zuruf: „Schon wieder fleißig!" Er verzeiht langsame 
Arbeit und fürchtet die allzu jähe; aber er will sehen, daß die Arbeit 
einem sauer wird; dies nennt er Fleiß. 
In bewegter Zeit, wo der Geist der Zerknirschung und Buße auch 
über soziale und wirtschaftliche Sünden in die Menschen fährt, geschah 
es, daß selbst Gelehrte die Rückkehr zur Handarbeit als zur Urarbeit 
predigten, wie Andreas Bodenstein von Karlstadt, der den Doktorhut 
mit dem grauen Filzhut des Bauern vertauschte und aus dem Hörsaal 
auf den Acker zog, um im Schweiße seines Angesichts sein Brot mit 
den Händen sich zu erarbeiten. Dieser einzige Zug zeichnet den echten 
sozialen Demagogen. Wer die überall im gemeinen Manne schlummernde 
Ansicht merkt und bekräftigt, daß jenem allein die volle Mühe und 
Last, hiermit aber auch die höchste, sittliche Kraft des Fleißes zugefallen 
sei, der kann ein Feuer anblasen, das den ganzen Bau unserer bürger¬ 
lichen Gesellschaft ausbrennte. Nennen wir doch auch mit einem Worte, 
das gar fein zum Schmeicheln und Bestechen taugt, die Klasse der 
besitzlosen Handarbeiter schlechtweg „die Arbeiter". Der stolze Titel 
der „Arbeiter" ward in den Tagen sozialer Bewegung ausgemünzt; 
schon Karlstadt hätte ihn prägen können. Wie dieser den Bauernhut 
aufsetzte, so vertauschten vornehme Volksführer im Jahre 1848 den 
Frack mit der Bluse, mit der französischen Bluse, nicht mit dem ehrlichen 
deutschen Kittel. Die Bluse ist das Arbeitskleid jener „Arbeiter", die 
da meinen, weil in der Handarbeit der meiste Schweiß klebe, so sei 
sie auch die schwerste und doch von den privilegierten sozialen Bedrückern 
am untersten gewertete, am ungerechtesten gelohnte Arbeit.
	        
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