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hineingehe und Euch ein Stück Brot dazu hole. Dann könnt Ihr weiter
gehen, wenn Ihr wollt oder müßt."
Aber der Müller wußte nicht, daß der verlorene Sohn einen Mord
ans seinem Gewissen hatte und daß die Rächerin zur Strafe über den, der
Böses tut, ihm schon ans der Ferse folgte. Und hätte er es gewußt, so
hätte er sich doch von ganzen: Herzen darüber gefreut, daß er dem Feind das
letzte Labsal reichen durfte. Es war aber für den verlorenen Sohn das
Henkersmahl. Denn noch hatte er die letzte Kirsche auf der Zunge, da
sprengten Reiter an den Gartenzaun. Und als er Miene machte wieder zu
entweichen, schoß ihn einer seiner Verfolger durchs .Herz, daß er zusammen¬
sank und unter dem Kirschbaum seinen Geist aufgab. Der Anführer der
Schar aber rief und sprach: „Also ist ihm heute geschehen, wie er seinem
Hauptmann getan hat!" Karl Stöber.
127. Das Wnnderkästchen.
Eine Frau hatte in ihrer Haushaltung allerlei Unglücksfälle und ihr
Vermögen nahm jährlich ab. Da ging sie zu einem alten verständigen
Manne und klagte dem ihre Not. Der Alte war ein fröhlicher Greis. Er
gab der Frau ein versiegeltes Kästchen und sprach: „Dieses Kästchen müßt
Ihr dreimal am Tage und dreimal bei der Nacht in Küche, Keller, Stal¬
lungen und allen Winkeln des Hauses umhertragen, dann wird es besser
werden. Bringt mir aber übers Jahr das Kästchen wieder zurück!" — Die
gute Hausmutter schenkte dem Kästchen ein großes Vertrauen und trug es
fleißig umher. Als sie den nächsten Tag in den Keller ging, wollte der
Knecht eben einen Krug Bier heimlich herauftragen; als sie noch spät in
der Nacht in die Küche kam, hatten die Mägde einen Eierkuchen für sich ge¬
backen: als sie die Stallungen durchwanderte, standen die Rinder tief im
Schmutz und die Pferde hatten statt des Hafers nur Heu und waren nicht
gestriegelt. So hatte sie alle Tage einen andern Fehler abzustellen.
Als nun das Jahr um war, ging sie mit dem Kästchen zu dem Greise
und sagte vergnügt: „Alles geht nun besser. Laßt mir aber das Kästchen
noch ein Jahr, es enthält ein gar treffliches Mittel."
Da lachte der Alte und sprach: „Das Kästchen kann ich Euch nicht
lassen; das Mittel aber, das darin verborgen ist, sollt Ihr haben!" Er
öffnete das Kästchen und sieh, es war nichts darin als ein Blättchen Papier,
auf dem geschrieben stand:
„Soll alles wohl im Hause stehn,
So mußt du selber oft nachsehn!"
Nach Chr. v. Schmid.
128. Die Hausfrau in der Küche.
Die Küche ist das Gebiet im Hause, wo die Hausfrau als Hausmutter
unumschränkt waltet um für jeden in der Familie Speise zur Sättigung zu