Full text: Deutsches Lesebuch für Tertia (Teil 4, [Schülerband])

L- H äusser: Deutschland nach dem dreißigjährigen Kriege. 347 
wie die schweizer Eidgenossenschaft erlangten damals ihre rechtliche 
Anerkennung, nicht nur die lothringischen Bistümer wurden aus einenr 
bestrittenen Besitze ein rechtmäßiges Eigentum des westlichen Nachbarn; 
es ward zugleich die fremde Oberherrlichkeit im Elsaß, in Pommern, 
in Bremen und Verden anerkannt und — säst die schmerzlichste von 
allen Einbußen — der kostbare Besitz der burgundischen Niederlande 
war teils in fremde Hand geraten, teils in die Bahnen einer auf 
deutsche Kosten aufblühenden Sonderentwicklung hineingedrängt worden. 
Mit der Herrschaft über die Ostsee hatte also Deutschland zugleich 
den wichtigsten Zusammenhang mit der Nordsee verloren und fctnb 
sich nun ausgeschlossen von dem Anteil an Macht und Reichtum, den 
die Nationen auf den Meeren und in den Kolonieen erwarben. Die 
deutsche Station selber war aber 'jetzt am wenigsten dazu angethan, 
so furchtbare Nachwehen rasch zu überwinden. Sie stand am Ende 
eines Kampfes, der den patriotischen Gemeinsinn auf lange hin ver¬ 
nichtet und dafür oben wie unten die niedrigsten Leidenschaften ent¬ 
fesselt, der die ausländische Einmischung herbeigerufen und eine scheu߬ 
liche Tyrannei einheimischer und ausländischer Söldner begründet 
hatte. Es lebte eine ganze Generation, die nichts anderes gesehen 
als diesen Bürgerkrieg mit seinen entsittlichenden Folgen. Wohin man 
schaute, überall bot sich eine arme und verwilderte Bevölkerung, die 
mit dem alten Wohlstände auch das Selbstgefühl besserer Tage ver¬ 
loren hatte. 
Auch für die Verfassung des deutschen Reiches hat der westfälische 
Friede auf lange Zeit hin die Entscheidung gegeben. Es war fortan 
nicht niehr zweifelhaft, ob im Reiche die einheitliche oder vielheitliche 
Ordnung der Dinge vorherrschen, ob Kaisertum oder Fürstentum über¬ 
wiegen, ob das Band einer festen Staatseinheit oder nur loser 
Föderalismus die deutschen Lande zusammenhalten werde. Um jeden 
Zweifel darüber zu beseitigen, enthielt die Friedensakte von 1648 die 
Grundgesetze einer aristokratisch-föderativen Verfassung, in der es fast 
weniger auffallend erscheint, daß die monarchische Gewalt so sehr in 
Schatten trat, als daß man sie überhaupt noch dem Namen nach be¬ 
stehen ließ. 
Denn ungeachtet der überlieferten Bezeichnungen von „Kaiser" 
und „Reich" stellte Deutschland nur noch eine lockere Föderation einzelner 
territorialer Gewalten dar. Von den Kurfürstentümern und Fürsten¬ 
tümern geistlichen und weltlichen Ursprungs an bis zu den reichs¬ 
gräflichen, städtischen und ritterschaftlichen Territorien herab hatte -ich 
eine bunte Masse von Gebieten ausgebildet mit besonderen Grund¬ 
gesetzen, eigner Rechtspflege und Polizei, eignen Steuern, eignen 
Kriegsordnungen, ja mit dem anerkannten Rechte, Krieg zu führen, 
Frieden zu schließen und völkerrechtliche Bündnisse einzugehen. Gegen-
	        
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