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Vor ihm her mit Windesschnelle
Flieht die zitternde Gazelle.
Auf der Felsen nackte Rippen
Klettert sie mit leichtem Schwung,
Durch den Riß geborstner Klippen
Trägt sie der gewagte Sprung;
Aber hinter ihr verwogen
Folgt er mit dem Todesbogen.
Jetzo auf den schroffen Zinken
Hängt sie auf dem höchsten Grat,
Wo die Felsen jäh versinken,
Und verschwunden ist der Pfad.
Unter sich die steile Höhe,
Hinter sich des Feindes Nähe.
Mit des Jammers stummen Blicken
Fleht sie zu dem harten Mann,
Fleht umsonst, denn loszudrücken.
Legt er schon den Bogen an. —
Plötzlich aus der Felsenspalte
Tritt der Geist, der Bergesalte.
Und mit seinen Götterhänden
Schützt er das gequälte Thier.
„Mußt du Tod und Jammer senden,
Ruft er, bis herauf zu mir?
Raum für alle hat die Erde;
Was verfolgst du meine Herde?"
102. Der Steinadler.
Bon den Adlern des Gebirges ist der Steinadler, der, wenn er
alt ist, auch Goldadler heißt, vielleicht der bekannteste, der am all¬
gemeinsten verbreitete und zugleich der reißendste. Er ist ein durch
Größe und Haltung hervorragender Vogel, 3 bis 3'/2 Fuß lang
und klaftert mit ausgespannten Flügeln gegen 8 Fuß. Der abge¬
rundete Schwanz mißt 14 Zoll, die zusammengeschlagenen Flügel¬
spitzen erreichen das Ende desselben nicht. Das Männchen,
gewöhnlich etwas kleiner und lichter gefärbt als das Weibchen, sieht
von fern fast ganz schwarz aus, ist aber eigentlich schwarzbraun;
die Befiederung der Fußwurzeln und Schwanzdeckfedern ist lichtbraun,
der Hinterhals rostbraun, der Schwanz an der Wurzel weiß, dann