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Im Goethehaus zu Weimar
Goethes, der treue Wächter dieses Allerheiligsten, die Tür des
Arbeitszimmers auf und da wurde mir ein rührender Anblick.
Ich erinnerte mich aus Eckermanns Gesprächen der gelegentlichen
Äußerungen Goethes, die mich hohe Einfachheit hier erwarten
ließen; aber wieder war die Wirklichkeit anders. Dieses kleine,
niedrige, schmucklose, grüne Zimmerchen mit den dunklen Rou¬
leaus von Rasch, den abgeschabten Fensterbrettern, den zum Teil
morsch gewordenen Rahmen war also der Ort, von dem aus
sich eine solche Fülle des glänzendsten Lichtes ergossen hatte! Ich
fühlte mich tief bewegt; ich mußte mich zusammennehmen, um
nicht in eine Weichheit zu geraten, die mir die Kraft zur An¬
schauung geraubt hätte.
Nichts ist von seiner Stelle gerückt; Kräuter hält mit from¬
mer Strenge darauf, daß jedes Blättchen, jeder Federschnitzel am
Orte bleibe, wo er lag, da der Meister entschlief. Noch zeigt die
Ahr die Todesstunde, halb zwölf; sie stockte damals, der Zufall
schuf ein Wunderähnliches. Neben ihr steht am Fenster rechts
das kleine Schreibtischchen, welches der Großvater für die Enkel
machen ließ, die er nach dem Tode des Vaters wieder unter seine
eigene Obhut und in seine nächste Nähe nahm. Das Wölfchen
war sein Liebling, Walther weniger; Alma mußte, um stillsitzen
zu lernen, an dem Schreibtischchen, neben den Brüdern Seiden¬
läppchen zupfen. Da liegen sie noch in einem Briefkuvert.
Zier ist jeder Fleck geweihter Boden, und tausend Gegen¬
stände, von denen das Zimmerchen erfüllt ist, reden von dem
Wesen und Weben des Geistes. Rings umher an den Wänden
laufen niedrige Schränke mit Schiebfächern, in denen Schriften
aufbewahrt wurden; darüber befinden sich Bücherschränke, worein
Goethe die Sachen stellte, mit denen er sich eben beschäftigte.
Das Zolzwerk ist altersbraun, ein Schrank von poliertem und
glänzendem Kirschbaum sticht dagegen ab; die Schwiegertochter
redete ihm denselben auf; Goethe mochte lange das gleißende
Möbel nicht leiden, „das ihn zerstreue". — Darum ist auch
kein Kunstwerk im Zimmer, wie man auch vergeblich sich nach
einem Spiegel und Sofa umsieht. Letzteres bedurfte er schon
deshalb nicht, weil er den ganzen Tag ging oder stand. Er las
stehend, er schrieb stehend, er verzehrte selbst sein Frühstück an