Full text: Prosa (Teil 4, [Schülerband])

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Mit dem Aufgeben des Zunftwesens sind natürlich auch die Schutz¬ 
heiligen in Pension gekommen. 
Wir müssen es uns hier versagen, auch noch von dem Spotte zu 
reden, den einzelne Handwerke im Mittelalter, wie Müller, Schneider u. a. 
auf sich gezogen haben und der dieselben bis auf den heutigen Tag 5 
verfolgt. 
Vor dem Freisprechen wurde der Lehrjunge des Böttcherhandwerks 
gefragt: Hast du denn ordentlich ausgelernt? Antwort: Ja. — Ei, du 
kannst nicht gar ausgelernt haben; schau dich ein wenig hier um unter 
den Meistern und Gesellen, doch hat noch keiner ausgelernt, und du willst 10 
schon ausgelernt haben? Eine ganz gute Lehre, die auch in dem alten 
Spruche wurzelt, der die drei Stufen kennzeichnet: 
Wer soll Meister sein? — der was ersann. 
Wer soll Geselle sein? — der was kann. 
Wer soll Lehrling sein? — jedermann. 15 
Das letzte geht uns alle an. I. E. Wessely. 
16. Spiele der Mädchen im Mittelalter. 
Frühzeitig mag die Tocke auch bei den deutschen Mädchen beliebt 
gewesen sein. Vielleicht war sie durch die Römer in Deutschland bekannt 
geworden, vielleicht auch nicht; die Versuche Götterbilder in Teig und 20 
Holz zu bilden, können die Erfindung dieses Spielzeugs veranlaßt haben. 
Genug, im 9. und 10. Jahrhundert war es schon allgemein bekannt, 
und die Gedichte des 13. Jahrhunderts schildern uns mehrmals die 
Freude der Mädchen an vielen und schönen Puppen. Sie behandelten 
gleich den heutigen Kindern die Tocke wie die Mutter ihr Kind, legten 25 
sie in die Wiege und übten in leichtem Kindessinn sich zur schweren 
Mutterpflicht vor. 
Sehen wir ab von der Unterhaltung, welche sich die Kinder von 
jeher mit Obst und Eiern, Nüssen und Bohnen bereitet haben, dann von 
der Klapper, die sich aus Thon gebrannt in süddeutschen wie in Lausitzer 30 
Gräbern heidnischer Zeit gefunden hat, so sind es lebendige Tiere, mit 
denen sie spielten oder an denen sie sich freuten. Der Hund ist der 
treue gute Geselle, der sorgsame Beschützer der Kinder stets gewesen. 
In der höfischen Zeit wurden aber auch Stuben- und Schoßhündchen 
von den Damen viel gehalten und damit Luxus getrieben. 35 
Neben den Hündchen waren Hermeline, ja selbst Wiesel, Eichhörnchen 
und Marder Spielzeug der Mädchen und Frauen. Besonders beliebt 
waren die zahmen Vögel. Unser weidlustiges Mittelalter hatte an der 
Vogelweide, dem Vogelfänge seine besondere Freude. Das waldreiche 
Land bot den geflügelten Tierchen in Berg und Ebene überall Herberge. 40
	        
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