Full text: Prosa (Teil 4, [Schülerband])

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loitrbe. Schon unter den weltlichen Griechen, den niichternen Römern 
hatte der Enthusiasmus zahlreiche treue Blutzeugen geworben, stürmischer 
erregte der Glaube die junge, ungebändigte Naturkraft in den neuen 
Völkern. Großartig und leidenschaftlich wurde in manchen Einzelnen die 
Hingabe. Der junge Cvlnmban sprang zu seinem Missionsamt über den 
Leib seiner Mutter, die sich vor ihm auf die Erde warf, die Thür zu 
verschließen; immer wieder fanden sich hochsinnige Männer, welche in die 
wilden Kriegerhaufen, über das Meer, durch die Wüsten und die Länder 
feindlicher Könige pilgerten, um die Lehre zu verkünden, welche das Un¬ 
heil der Welt in Heil verkehren sollte. Solche überlegene Naturen, die 
ihres Gottes voll, unbekümmert um das eigene Schicksal, die Güter dieser 
Welt verachtend, als Büßer, Prediger, Lehrer unter den Heiden dauerten, 
erzwangen sich überall Anerkennung. Auch die Heiden blickten mit Scheu 
nach ihrer Zelle aus Baumrinde, und die Häuptlinge der Nachbarschaft 
saßen in Stunden innerer Unsicherheit auf ihrer Hvlzbank und lauschten 
ehrfurchtsvoll dem mahnenden Wort. Der Wildeste empfand, es mußte 
Großes sein, was diese Männer an den Saum des Bergwaldes gesiedelt 
hatte, wo der Wolf nächtlich um ihre Hütte kreiste und kein Graben dem 
Überfall einer Ranbhorde wehrte. Eine solche Hütte in Oberöstreich 
war es, wo um das Jahr 460 ein fahrender germanischer Krieger 
eintrat, um den Segen des frommen Siedlers für seine Fahrt nach 
Italien zu erbitten. Er war in schlechten Pelzrvck gekleidet, tief mußte 
er seine hohe Gestalt beim Eintritt bücken und vermochte nicht in der 
niedrigen Zelle grade zu stehen. Der Missionär entließ den Landlosen 
mit der frohen Verheißung, daß er in kurzem vielem Volk reichen Hort 
spenden werde. Der fahrende Mann war Odoaker, der nach Italien 
zog sein Glück zu suchen, der Weissagende der heilige Severin. 
So machte das Christentum unaufhaltsame Fortschritte. Viele 
Stämme nahmen es in den Jahren ihrer Kolonistenwanderung an, wie 
die Goten, Langobarden, Vandalen, Heruler, andere in ihren neuen 
Sitzen, wie Franken und Angelsachsen. Die Bekehrer verstanden sich gut 
auf die beiden Künste, welche ihnen Erfolg sicherten: sie wußten zu ge¬ 
winnen und ihre Macht zu erweitern. Sie warben klug um die Gunst 
der Mächtigen, und sie waren unermüdlich, die Schwäche der alten 
Götter und die stärkere Gewalt des Christengottes zu erweisen. Jedes 
Unglück, das die Heiden traf, war eine Strafe für die Verstocktheit; alles 
Glück, das dem Fürsten und dem Volke widerfuhr, betrachteten sie ent¬ 
schlossen als Wirkung ihres Gebetes. Hatten sie sich in den Gemütern 
festgesiedelt, dann thaten sie ihre Hauptschläge gegen den Heidenglanben, 
die Eiche Donars wurde gefällt, die aufgehangenen Pferdehäupter auf 
den Anger geworfen, die Göttersäule umgestürzt, das Hvlzwerk der heiligen 
Umfriedung verbrannt; über dem Opferstein wurde die christliche Kirche 
mit ihrem Chor, Altar und Taufstein gezimmert und daneben auf hohem 
Lesebuch für höhere Mädchenschulen. IV. 2. 15 
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