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Hagen weiß nahe im Walde einen Brunnen; dahin, rät er, könne man
ziehen. Man bricht auf und schon hat man die breite Linde im Gesichte,
unter deren Wurzeln der kühle Quell entspringt. Da beginnt Hagen:
„Man hat viel davon gesagt, daß dem schnellen Siegfried niemand
folgen könne im eiligen Lauf. Wolle er uns das doch sehen lassen!“ —
„Laßt uns,“ entgegnet Siegfried, „Jur Wette laufen nach dem Brunnen!
Ich werde mein Jagdgewand, auch Schwert, Ger und Schild behalten.
Legt ihr die Kleider ab!“ Es geschieht. Der Wettlauf beginnt. Wie
wilde Panther springen Hagen und Gunther durch den Waldklee, aber
Siegfried ist weit zuerst zur Stelle. Ruhig legt er nun Schwert, Bogen
und Köcher ab, lehnt den Ger an der Linde Ast, setzt den Schild neben
den Brunnen und wartet, bis der König auch herangekommen sei, um
ihn zuerst trinken zu lassen. Diese ehrerbietige Sitte entgalt er mit
dem Tode.
Gunther kommt heran und trinkt; nach ihm beugt sich auch
Siegfried zum Brunnen nieder. Da springt Hagen herzu und trägt in
raschem Sprunge die Waffen, die er erreichen kann, Schwert, Bogen
und Köcher, abseits. Den Ger behält er selbst in der mörderischen
Faust, und indem Siegfried noch die letzten Züge an dem Brunnen ein—
schlürft, schleudert Hagen den Ger, Siegfrieds eigene Waffe, durch das
Kreuz, das Siegfried im Rücken trägt, daß von dem Herzblut des herr⸗
lichen Helden des Mörders Gewand überströmt wird. Wütend springt
der Todwunde auf von dem Brunnen; zwischen den Schulterblättern
ragt die lange Gerstange aus seinem Leibe hervor. Er greift nach
Bogen und Schwert; er findet keine Waffe. Da faßt er den Schild, der
dicht neben ihm liegt und den Hagen nicht hat beiseite schaffen können,
und stürzt auf Hagen los. Grimmig schlägt er mit dem Schilde auf den
Mörder, daß die Edelsteine, mit denen der Schild besetzt war, heraus—
gesprengt werden. Er schlägt so furchtbar, daß Hagen zu Boden stürzt
und der Schild zerbricht. Der Wald hallt wider von der Wucht der
Schläge, welche die Hand des sterbenden Helden auf das Haupt seines
Mörders fallen läßt. Da erbleicht seine lichte Farbe; die Füße wanken.
Die Stärke des Heldenleibes zerrinnt; der Tod hat ihn gezeichnet.
Kriemhilds Gatte fällt dahin in die Blumen und in breiten Strömen
stürzt das Herzblut aus der Todeswunde.
Mit der letzten Kraft wendet sich Siegfried zornig zu seinen
Mördern: „Ihr Feiglinge, so also habt ihr meine Treue gelohnt und
schlimmes Leid an eurem Blutsverwandten getan!“ Alle Ritter des
Burgundengefolges eilen jetzt herbei zu der Mordstätte und umstehen
im Kreise den sterbenden Helden. Manche Klage wird laut; der
Sterbende schweigt. Da läßt auch der Burgundenkönig einen Ton der
Klage um den Gefallenen vernehmen. Und jetzt regt sich noch einmal
das bittere Leid des Lebens in der schon in den Todesschlummer ver—