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vie das Tal Josaphat, ein enges Tal zwischen zwei Hügeln, von
denen einer den Olberg, der andere die Stadt Jerusalem auf
seiner Höhe trägt, von dem fast wasserlosen Kidron durchschlichen.
Niemals scheint die Sonne in die düstere Tiefe. Des Morgens ver—
birgt sie sich hinter dem Olberg und des Nachmittags hinter Moriah.
Es ist das Tal der Schatten und der Gräber; und wer über die
Brücke geht, die dort über den Kidron führt, wird von unwillkürlichem
Schaudern ergriffen. Rechts von der Brücke befinden sich die Gräber
des Absalom, des Josaphat und des Zacharias. Betende liegen in der
Nähe dieser Gräber auf den Boden hingestreckt, und eine Masse
aufges ichteter Steine vermehrt das Traurige dieser Stätte.
rt im Osten,“ sagte der Führer zu mir, „sehen Sie Bethanien
und d. Olberg.“ Nächst Bethlehem ist Bethanien gewiß das lieb—
lichste rflein, und teure Erinnerungen knüpfen sich an diese Stätte.
Hier hat Lazarus gewohnt mit Maria und Martha; in ihrem Kreise
hat Jesus ausgeruht von der heiligen Arbeit, um neue Kräfte zu
sammeln zur Ausführung seines schweren Berufes; hier hat der aus
Jerusalem Verstoßene ein Obdach, der Heimatlose eine Heimat, der
von seinem Volke Verachtete Liebe und Ehre gefunden. Bethanien
möchte ich den Ort der stillen Liebe nennen. Es ist so einsam, so
traulich an den Berg gebaut, rings von schattigen Bäumen, von grünen—
den Feldern umgeben, daß man Wohnung darin nehmen möchte, um—
geben von geliebten Herzen. Lange ruhte mein Blick auf Bethanien,
der Heimat der Seelen, welche der Herr so lieb hatte, und meine
Seele war bewegt von unbeschreiblicher Wallung. Mit Bethanien über—
sieht das Auge den Olberg. Nahe an ihm liegt Gethsemane, unten
an seinem Fuße der Olivengarten und oben auf dem Gipfel die
Himmelfahrtskirche. Wie ein Berg des Friedens ist der Olberg mit
seinen Bäumen anzuschauen. Fast konnte ich mein Auge nicht wenden
von den heiligen Hügeln mit ihren unvergeßlichen Erinnerungen.
Nach Hackländer.