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e) Der Staat.
62. Von Vaterland und Freiheit.
Ernst Moritz Arndt.
Wo dir Gottes Sonne zuerst schien; wo dir die Sterne des
Himmels zuerst leuchteten; wo seine Blitze dir zuerst seine Allmacht
offenbarten und seine Sturmwinde dir mit heiligem Schrecken durch die
Seele brauseten: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland.
Wo das erste Menschenaug' sich liebend über deine Wiege neigte;
wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem Schoße trug und
dein Vater dir die Lehren der Weisheit und des Christentums ins Herz
grub: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland.
Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Armut und
Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben; denn du bist
ein Mensch und sollst es nicht vergessen, sondern behalten in deinem
Herzen.
Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster Wahn,
sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewißheit, daß
du vom Himmel stammst.
Da ist Freiheit, wo du in den Sitten und Weisen und Gesetzen
deiner Väter leben darfst; wo dich beglücket, was schon deinen Urelter—
vater beglückte, wo keine fremden Unterdrücker über dich gebieten und keine
fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit den Stöcken treibt.
Dies Vaterland und diese Freiheit sind ein Schatz, der eine unendliche
Liebe und Treue in sich verschließt, das edelste Gut, was außer der
Religion, in der noch eine höhere Freiheit ist, ein guter Mensch auf
Erden besitzt und zu besitzen begehrt.
63. Die Glieder des menschlichen Leibes.
Joaehim Heinr. Campe.
Die Glieder des menschlichen Leibes wurden einmal über—
drüssig, einander zu dienen, und wollten es nicht mehr thun.
Die Fũsse sagten: „Warum sollen wir allein euch alle tragen und
fortschleppen? Schafft euch selbst Fülse, wenn ihr gehen wollt!“
— Die Hände sagten: „Warum sollen wir allein für euch andern
arbeiten? Schafft eueh selbst Hände, wenn ihr welche braucht!“
— Der Mund brummte: „Ich mülste wohl ein Thor sein, venn
ieh immer für den Magen Speise Kauen wollte, damit er sie nach