Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband])

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Weibehen sich einen geeigneten Baum und hackt in ihn ein tiefes Loch 
wohl zwei Spannen lang sehräg hinein, erweitert es dann innen und glättet 
ganz sauber die Wande dieses sieheren Gemaches. Vorsichtig trägt er alle 
Spune ein gutes Stuek vom Baume weg, damit kein böser Knabe es an 
jhnen merken soll, daß er hier seine Bier und seine Jungen habe. Autf 
den feinen Holzgpänen oder dem Wurmmehl legt das Welbehen nachhber 
schöne, weiße Dier und brütet die Jungen aus. Difrigst flüegen beide Altèn 
dann herum und bringen unermüdlieh Futter für die RKleinen. 
Nun — erzählt ein altes Märehen — mub derjenige, weleher reieh 
werden will, ans Spechtnest gehen und, venn der alte Specht nach Nab— 
rung ausgeflogen, einen Holzkeil in die Oeffnung schlagen. BSobald der 
Specht zurüekkehrt und sein Nest verschlossen findet, flüögt er — 50 sagt 
das Marehen — eiligst fort und zueht die Springwurz, hält die an den Nest- 
eingans, und der RKeil springt wieder heraus. Mird er jetzt erschreckt, 
30 läßt er die Zauberwurzel fallen, und wer sie findet, vermag damit alle 
verzauberten Düren aufzusehlieben und die verborgenen Schätze zu heben 
und wird ein reicher Mann. Nun gibt es 2war nirgends ein Kraut, das 
solehe Wurzeln trüge, und nirgends bringt ein Specht sie in dem Schnabel 
zu seinem Neste. Aber, wer aufmerksam auf das fleibige Dreiben dieses 
arbeitsamen Vogels achtet, der von früh bis spät in die Nacht thätig ist, 
ver seine Liebe zu seinen Kleinen sieht und seinen heiteren, lustigen Ruf 
dabei vernimmt, der kann dabei etwas lernen, das wenigstens ebenso viel 
werth ist. als eine Zauberwurzel. 
109. leh geh' dureh einen grasgrünen Nald. 
(Volkslied. — Vers 2 und 3 von Kletke.) 
Ich gehl dureh einen grasgrunen Wald 
und höre die Vögelein singen. 
Sie singen so jung, sie singen so alt, 
die kleinen Vögelein in dem Wald, 
wie hör ich so gerne sie singen! 
O sing nur, singe, Frau Nachtigall! 
Wer wollte dieh, Sängerin, stören? 
Wie wonniglich klingt's im Wiederhall! 
Es lauschen die Blumen, die Vögel all 
und wollen däe Nachtigall hören. 
Nun mub ieh wandern bergauf, bergab 
die Nachtigall singt in der Perne. 
Es wird mir so wohl, so leieht am Stab, 
und wie ich schreite hinauf, hinab 
die Nachtigall singt in der Perne. 
110. Betrachtung über ein Vogelnest. 
Gebel) 
Wenn der geneigte Leser ein Finkennest in die Hand nimmt und be— 
trachtets, was denkt er dazu? Getraut er sich auch so eins zu stricken, und 
zwar mit dem Schnabel und mit den Füßen? Ich glaub's schwerlich. Ja, 
ich will zugeben, der Mensch vermag viel. Ein geschickter Künstler mit zwanzig 
feinen Instrumenten kann nach viel mißlungenen Versuchen zuletzt etwas her 
ausbringen, das einem Finkennest gleich sieht; und alle, die es sehen, kön— 
nen es von einem wirklichen Nest, das der Vogel gebaut hat, nicht unter— 
scheiden. Alsdann bildet sich der Künstler etwas ein und meint, er sei auch 
ein Fink. Guter Freund, dazu fehlt noch viel. Und wenn ein wahrer Fink,
	        
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