Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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Wenn sie draußen durch die Zweiglem 
Schauen mit den klugen Äuglein, 
Wenn sie dann mählich näher schlüpfen, 
Neugierig auf die Schwelle hüpfen? 
Ältester. 
Vöglein stehen in hohen Gnaden, 
Sind gar lust'ge Kameraden, 
Darfst sie immer zu Gaste laden. 
Schneewittchen. 
Aber die Sonne, der himmlische Schein! 
Wenn sie morgens ins Fensterlein 
Durch die grünen funkelnden Blätter 
Sendet das goldene Sommerwetter? 
lind abends, wandert die Sonne von 
dannen, 
Der Mond steigt über die schwarzen 
Tannen! 
Der wohnt am Himmel allein nicht gern, 
Bringt mit sich alle die tausend Stern'; 
Mond und Sonne und Sternelein 
Schauen alle zu mir herein, 
Wie ich die Wirtschaft mag treiben 
und leiten —, 
Sie kennen mich alle seit langen Zeiten. 
Ältester. 
Rehlein laß um dich spielen und springen, 
Böglein flattern und schmettern und 
singen, 
Laß Mond- und Sonnenschein herein; 
Nur vor den Menschen hüte dich fein. 
(Zu den Anderen:) 
Nun kommt, ihr wackern Brüderlein, 
Drei Gänge fürder noch waldein! 
Dreimal noch füllt mit weichem Moos 
Die Säcklein aus des Waldes Schoß, 
Und richtet fein in unserm Hüttchen 
Ein achtes Bettchen für Schneewittchen. 
Die sieben Zwerge 
(gehen singend ab). 
„Da ging die Katz die tripp die trapp, 
Da schlug die Thür die klipp die klapp, 
Frau Füchsin, sind sie da? 
Ach ja, mein Kätzchen, ja!" 
Schneewittchen 
(allein). 
Morgens im Dämmerschcin 
Feg' ich das Kämmerlein, 
Bohne die Stühlchen, 
Lockre die Pfühlchcn, 
Mache die Bettchen, 
Die Schlummerstättchen, 
Nähe das Röcklein, 
Hefte das Glöcklein, 
Setz auf die Jäckchen 
Saubere Fleckchen; 
Rehlein und Vögelein, 
Alle die Thierelein, 
Flattern durchs Fensterlein, 
Schlüpfen zur Thür herein; 
Sonne und Mondenschein, 
Sternlein, die hellen, 
Sind alle meine Spielgesellen. 
Th. Storni. 
109. Der Rosenstrauch zu Hildesheim. 
Als Ludwig der Froinmc des Winters in der Gegend von Hildcsheiin 
jagte, verlor er sein mit Heiligthum gefülltes Kreuz, das ihm vor allem 
lieb war. Er sandte seine Diener aus, um es zu suchen; und gelobte, an 
dem Orte, wo sie es finden würden, eine Kapelle zu bauen. Die Diener 
verfolgten die Spur der gestrigen Jagd auf dem Schnee und sahen bald 
aus der Ferne mitten im Wald einen grünen Rasen, und darauf einen 
grünenden wilden Rosenstrauch. Als sie ihm näher kamen, hieng das ver¬ 
lorne Kreuz daran; sie nahmen es und berichteten dem Kaiser, wo sie es 
gefunden. Alsobald befahl Ludwig, auf der Stätte eine Kapelle zu er¬ 
bauen und den Altar dahin zu setzen, wo der Rosenstock stand. Dieses 
geschah, und bis auf diese Zeiten grünt und blüht der Strauch und wird 
von einem eigens dazu bestellten Manne gepflegt. Er hat mit seinen 
Ästen und Zweigen die Rundung des Domes bis zum Dache umzogen. 
Brüder Grimm (Deutsche Sagen).
	        
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