Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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Vor Kälte mußte beben das arme Ingesinde; 
Kläglich war ihr Leben; sie umwehten kalte Märzenwinde. 
11. Es war in den Tagen, da der Winter Abschied nimmt 
Und der Vogel mit Zagen die Kehle wieder stimmt, 
Daß er singe seine Weise, wenn der März entschwunden. 
In Schnee und in Eise wurden die armen Waisen gefunden. 
12. Mit gesträubten Haaren kamen sie heran. 
Wie ihnen beiden waren die Häupter wohlgethan, 
Doch sah man ihre Locken zerzaust vom Märzenwinde; 
Ob es regnete oder schneite, weh war dem armen Ingesinde. 
13. Das Meer allenthalben noch mit dem Eise floß, 
Das sich zerlassen wollte; ihre Sorge, die war groß. 
Durch die Hemden schienen weiß wie der Schnee 
Die minniglichen Glieder; ihnen schuf die Scham vor Fremden Weh. 
14. Herwig der edle ihnen guten Morgen bot: 
Wohl war den Heimatlosen ein guter Morgen noth. 
Von ihrer bösen Meisterin hörten sie nur Schelten; 
Guten Morgen, guten Abend kam den minniglichen Maiden selten. 
15. „Ihr sollt uns hören lassen", sprach Herr Ortewein, 
„Wem diese reichen Kleider auf dem Strande sei'u, 
Oder wem ihr waschet? Ihr beiden seid so schöne. 
Wer thut euch das zu Leide? Daß ihn Gott vom Himmel immer höhne! 
16. Ihr seid so schön, ihr dürftet wohl die Krone tragen 
Und einem reichen König als Erbinnen behagen. 
Landesfrauen heißen solltet ihr mit Ehre; 
Dem ihr so schmachvoll dienet, hat er so schöner Wäscherinnen mehre?" 
_ 17. Da sprach mit trübem Muthe das schöne Mägdelein: 
„Er hat noch manche schöner, als wir mögen sein. 
Nun fraget, was ihr wollet; wird es die Meist'rin inne, 
Es möcht' uns schlinnn bekommen, säh' sie uns mit euch sprechen von den 
Zinnen." 
18. „Laßt es euch nicht verdrießen und nehmet unser Gold, 
Guter Spangen viere; das sei euer Sold, 
Daß ihr schöne Frauen uns Kunde möget sagen: 
Wir geben sie euch gerne, daß ihr Bescheid uns gebt auf unsre Fragen." 
19. „Gott laß euch eure Spangen selber wohlgedeihn, 
Wir nehmen nichts zu Lohne", sprach das Mägdelein; 
„Fragt was ihr wollt, wir müssen schnell von hinnen; 
Säh' man uns mit euch reden, das wär' mir leid von Herzen und von Sinnen." 
20. „Wem ist dieses Erbe und dieses reiche Land, 
Dazu die guten Burgen? Wie ist er genannt, 
Der euch ohne Kleider läßt so schmachvoll dienen? 
Wollt' er auf Ehre halten, euch anders zu behandeln würd' ihm ziemen." 
21. Sie sprach: „Der Fürsten einer heißet Hartmut: 
Dem dienen weite Lande und feste Burgen gut; 
Der andre heißet Ludwig von Normandie der Reiche, 
Ähnen dienen viel der Helden; sie sitzen ruhmvoll hier in ihrem Reiche."
	        
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