tägliche Arbeit und ihren armen Haushalt hinausging, zurechtfand. Wenn sie
ein Ding begriff, so konnte sie es freilich auch ordentlich und verständig aus—
einanderlegen und das Für und Wider jeder Einzelheit gehörig betrachten und
gegeneinander abwägen. Aber dieses heiße Streben des Knaben aus der
Dunkelheit nach dem Lichte konnte sie kaum in seinen weitesten Umrissen verstehen.
Sie wußte nur, daß sich in ihrem Kinde derselbe Hunger offenbart
hatte, an dem ihr seliger Mann gelitten hatte; dieser Hunger, den sie nicht
verstand. und vor dem sie doch einen solchen Respekt hatte; dieser Hunger,
der den lieben, toten Mann so gepeinigt hatte, — der Hunger nach den Büchern
und an Wunderdingen, die darin verborgen lagen. Die Jahre, die hin⸗
gegarn waren, seit man ihren Gatten zu Grabe trug, hatten keine Er—
innernn verwischt. In dem Gemüte der stillen Frau lebte der gute Mann
noch mit allen seinen Eigentümlichkeiten, deren kleinste und unbedeutendste der
Tod verklärt und zu einem Vorzuge gemacht hatte. Wie er mit der Abeit
einhielt und minutenlang selbstvergessen in die Glaskugel vor seiner Lampe
staryte; wie er auf Spaziergängen am schönen Feiertage plötzlich stillstand
und den Boden betrachtete und das Himmelsgewölbe; wie er nachts erwachte
und stundenlanag schlaflos im Bette saß, unzusammenhängende Worte mur—
melnd? das alles war nicht vergessen und konnte nie vergessen werden.
Wie sich der gute Mann zwischen Seufzen und frohen Aufwallungen, zwischen
heiterer und niedergeschlagener Stimmung in seinem Handwerk abquälte;
wie er in seinen seltenen Feierstunden so eifrig studierte — und vor allem,
wie er auf einen Sohn hoffte und so wunderlich träumte von der Zukunft
dieses Sohnes: das stand der Frau Christine klar vor der Seele.
2. Die Mutter richtete sich von ihrem Kopfkissen empor und blickte nach
dem Lager des Kindes hinüber. Der Mondschein spielte auf der Decke und
den Kissen und verklärte das Gesicht des schlafenden Knaben, der sich nach
seinem betrübten Bericht in den Schlaf geweint hatte, und auf dessen Wangen
noch die Spuren der Tränen zu finden waren, obgleich er jetzt im Schlummer
wieder lächelte und nichts mehr wußte von dem Kummer des Tages. Die
Mutter fühlte die Verantwortlichkeit für das Schicksal ihres Kindes schwer
auf sich lasten. Obgleich sie eine ungebildete, arme Frau war, so war
ihre Sorge darum nicht geringer; ja, ihre Sorge war vielleicht noch schwerer,
weil ihr Begriff von dem Verlangen ihres Kindes mangelhaft und unzu⸗
reichend war.
Lange betrachtete sie den schlafenden Hans, bis der Mond am Himmels—
gewölbe weiterglitt und der Strahl von dem Bette verschwand und sich
langsam gegen das Fenster zurückzog. Als endlich vollkommene Dumkelheit
die Kammer füllte, seufzte sie tief und flüsterte: „Sein Vater hat's so gewollt,