Full text: Mit 27 Abbildungen (Teil 3 = (6. - 8. Schuljahr), [Schülerband])

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b) Eine Schulprüfung. 
1. Meister Wendroth, der Küster und Schullehrer, hatte des Tages 
Last in der niedrigen Schulstube getragen. Nun schritt er, die Pfeife im 
Munde, in der Rechten die Gießkanne, von Beet zu Beet, seine Lieblings⸗ 
blumen tränkend; dabei stieß er dicke Wolken aus der Pfeife. Da stürzte 
atemlos Frau Wendroth in den Garten und rief ihm zu: „Mann, tummle dich, 
der König ist hier; er kommt eben mit dem Schulzen die Straße herauf!“ 
Wendroth riß eilig den Hausrock von den Schultern und stürmte durch 
den Garien ins Haus. Als er aber die Tür öffnete, um auf die Gasse 
zu blicken, sank er halb in die Knie, denn vor ihm stand der König. 
„Ah, das ist mir lieb, daß ich Ihn hier zu Hause finde“, begann Friedrich 
Wilhelm. „Majestät,“ stammelte Wendroth, „ich war in meinem Garten, 
solchen Besuch hatte ich nicht erwartet.“ — „Ja, das ist meine Art o, 
lachte der König, „da geraten noch ganz andre Leute in Schrecken. 
Aber fass' Er sich, ich bin kein Tyrann; Er soll mir eine Stunde halten 
mit seinen Jungen, ich will mal die Bürschchen arbeiten sehen.“ Wend— 
roth faßte sich. „Wie Majestät befehlen!“ — „Der Schulbesuch ist doch 
gut?“ — „Sehr gut, Majestät.“ Der König war in die Schulstube 
getreten; er musterte alles genau, Bänke, Tische, die Bücher, — dann ließ 
er sich die Listen geben, sah die Schreibhefte durch und prüfte einige Zensuren. 
„Was bringt Er denn den Jungen bei?“ — „Lesen, Schreiben, Rechnen, 
die Heilige Schrift, einige Kenntnisse in der Geographie und Natur— 
geschichte — „Gut! Weiter ist nichts nötig. Nun leg' Er mal los!“ 
2 Es bedurfte nicht großer Mühe, die Jungen herbeizurufen. Ein— 
mal waren sie auf dem Spielplatz, dann aber hatte sich wie ein 
Lauffeuer im Dorfe die Nachricht von des Königs Eintritt ins Schulhaus 
verbreitet; die Leute scharten sich daher alle in der Nähe des Schulgebäudes 
zusammen. Bald füllte sich die Schulstube mit Wendroths Schülern. 
Sie waren alle gekommen, wie sie gingen und standen, in ihren nicht eben 
saubern Kleidern, einige mit Schürzen, wenige mit Jacken angetan, — 
die meisten in Hemdärmeln, alle recht neugierig und eifrig den König 
betrachtend, der sich auf einem Stuhl niedergelassen hatte und lächelnd 
die wohlgenährten, meist strammen Burschen betrachtete. Staunend gafften 
die Jungen die Uniform an, und leises Zittern überfiel sie denn doch. 
„Worin befehlen Majestät, daß ich prüfen soll?“ fragte Wendroth. 
„Worin Er will.“ 
„Also dann Biblische Geschichte?“ — „Gut“, sagte der König. 
Die Prüfung ging vor sich, die Jungen bestanden gut. Ebenso ging 
es beim Lesen, die Schüler waren ordentlich auf dem Posten. Beifällig 
nickte der König.
	        
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