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b) Eine Schulprüfung.
1. Meister Wendroth, der Küster und Schullehrer, hatte des Tages
Last in der niedrigen Schulstube getragen. Nun schritt er, die Pfeife im
Munde, in der Rechten die Gießkanne, von Beet zu Beet, seine Lieblings⸗
blumen tränkend; dabei stieß er dicke Wolken aus der Pfeife. Da stürzte
atemlos Frau Wendroth in den Garten und rief ihm zu: „Mann, tummle dich,
der König ist hier; er kommt eben mit dem Schulzen die Straße herauf!“
Wendroth riß eilig den Hausrock von den Schultern und stürmte durch
den Garien ins Haus. Als er aber die Tür öffnete, um auf die Gasse
zu blicken, sank er halb in die Knie, denn vor ihm stand der König.
„Ah, das ist mir lieb, daß ich Ihn hier zu Hause finde“, begann Friedrich
Wilhelm. „Majestät,“ stammelte Wendroth, „ich war in meinem Garten,
solchen Besuch hatte ich nicht erwartet.“ — „Ja, das ist meine Art o,
lachte der König, „da geraten noch ganz andre Leute in Schrecken.
Aber fass' Er sich, ich bin kein Tyrann; Er soll mir eine Stunde halten
mit seinen Jungen, ich will mal die Bürschchen arbeiten sehen.“ Wend—
roth faßte sich. „Wie Majestät befehlen!“ — „Der Schulbesuch ist doch
gut?“ — „Sehr gut, Majestät.“ Der König war in die Schulstube
getreten; er musterte alles genau, Bänke, Tische, die Bücher, — dann ließ
er sich die Listen geben, sah die Schreibhefte durch und prüfte einige Zensuren.
„Was bringt Er denn den Jungen bei?“ — „Lesen, Schreiben, Rechnen,
die Heilige Schrift, einige Kenntnisse in der Geographie und Natur—
geschichte — „Gut! Weiter ist nichts nötig. Nun leg' Er mal los!“
2 Es bedurfte nicht großer Mühe, die Jungen herbeizurufen. Ein—
mal waren sie auf dem Spielplatz, dann aber hatte sich wie ein
Lauffeuer im Dorfe die Nachricht von des Königs Eintritt ins Schulhaus
verbreitet; die Leute scharten sich daher alle in der Nähe des Schulgebäudes
zusammen. Bald füllte sich die Schulstube mit Wendroths Schülern.
Sie waren alle gekommen, wie sie gingen und standen, in ihren nicht eben
saubern Kleidern, einige mit Schürzen, wenige mit Jacken angetan, —
die meisten in Hemdärmeln, alle recht neugierig und eifrig den König
betrachtend, der sich auf einem Stuhl niedergelassen hatte und lächelnd
die wohlgenährten, meist strammen Burschen betrachtete. Staunend gafften
die Jungen die Uniform an, und leises Zittern überfiel sie denn doch.
„Worin befehlen Majestät, daß ich prüfen soll?“ fragte Wendroth.
„Worin Er will.“
„Also dann Biblische Geschichte?“ — „Gut“, sagte der König.
Die Prüfung ging vor sich, die Jungen bestanden gut. Ebenso ging
es beim Lesen, die Schüler waren ordentlich auf dem Posten. Beifällig
nickte der König.