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während der fürchterliche Aschenregen an, der diese fröhlichste Stadt
der Welt in eine Totenstadt verwandelt. In der Umgebung der
Stadt begrub der gewaltige Aschenregen nicht nur viele Häuser,
sondern erstickte auch zahlreiche Menschen. Erschütternde Auftritte
spielten sich bei der Erkennung der Leichen ab. Eltern, die ihre
Kinder in dem allgemeinen Durcheinander verloren hatten, fanden
deren Leichen in der Verwahrung der Behörden. In vielen Fällen
war es überhaupt unmöglich, Verschüttete zu retten, obwohl helden⸗
mütige Taten ausgeführt wurden. Beherzte Männer drangen
wiederholt in Häuser ein, die bereits einzustürzen drohten. In
mehreren Fällen kamen die Retter selbst ums Leben. Eine Frau
mußte ihren gelühmten Mann vor dem Heranrücken der glühen⸗
den Lava zurücklassen. Ein junges Mädchen trug ihren sechzig—
jährigen Vater auf dem Rücken fort. Während wir zur Lava em⸗
porsteigen, droht über uns der Krater des Vesuv. Beständig in
schwärzlichen Windungen steigt eine mächtige Säule von Rauch
und von Asche empor, die sich im Steigen zerteilt und wieder neu
bildet. Man sieht durch diese dunkeln Windungen der Rauchsäule
lange, helle, weißglühende Flammen emporstreben. Der Berg
dröhnt und speit Rauch, Asche und Schlacke aus; links sprüht er
Feuer und wirft Feuersteine und Feuermassen empor. Alle, die
an die Lava herangehen, sind wie betäubt und geben ihrem Ein⸗
druck nur in kurzen, abgerissenen Worten Ausdruck. Ringsumher
zwischen den Feldern und Weinbergen sind alle Wege schwarz von
andrängenden Menschen; aber in dem großen Schweigen der Menge
spricht nur das Dröhnen des Vulkans. Immer heller leuchtende
Flammen blitzen aus der offenen Seite des Berges. In dem
großen Talgrund, der durch einen früheren Ausbruch entstanden
ist, in dem Tale, in dem die Oliven und die Weinreben auf der
Lava aus uralter Zeit gediehen, liegt nun die neue Lava.
Die riesige, schwarze Menge erhebt sich mächtig und unförmig
wenige Schritte vor uns. Es scheint ein düsteres, ein schwarzes,
totes, erstarrtes Meer. Aber es ist nicht tot. In der Tiefe lebt
noch die Flamme, die immer wieder aufblitzt und ihre weiße Glut
zeigt; unter unsern Füßen ist die Erde warm, wenige Schritte
weiter ist sie brennend heiß. Rechts an dem andern Zweige der
Lava, unter einer schwarzen, rauhen Schicht ist ein Glutofen ver—
borgen. Die schwarze Schicht ist ganz dünn, darunter schwelt die
Deutsches Lesebuch. Ausg. A. Dritter Teil.
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