Full text: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

Friedrich Bodenstedt. e 
Friedrich Bodenstedt. 
307. Ein Blick vom Kreml. 
1. Zum höchsten Turm stieg ich hinauf 6. Hier auf demselben Turme stand 
Des Kreml in der Moskwastadt, Auch er gedankenvoll allein 
Die manchen Turm mit goldnem Knauf, Und sah hinab auf Stadt und Land, 
Viel Tempel und Paläste hat. Und alles, was er sah, war sein. 
Ich stieg hinauf, wo, vielbetürmt, Noch schwillt sein Herz vor Übermut, 
Sich rings die weiße Mauer zog, Noch ist er großer Dinge voll; 
Dran mancher Held schon angestürmt, Da züngelt schon die rote Glut 
Schon manches Haupt vom Rumpfe flog. Des Brands, der ihn verderben soll. 
2. Und als ich auf Palast und Dom 7. Er sieht's nicht, schließt sein Auge 
Hinabsah von dem hohen Turm, zu — 
Krümmt' unten sich der Moskwastrom Und das Gericht nimmt seinen Lauf. 
Zu meinen Füßen wie ein Wurm; Als Herr der Welt ging er zur Ruh, 
Und wie ein Wurm in meinem Geist Als armer Flüchtling wacht' er auf. 
Ragt das Gedächtnis alter Zeit, Wild prasselt's rings im Flammenschein; 
Und vor mir schwebt und mich umkreist Der Kreml ist kein gastlich Haus: 
Manch Nachtbild der Vergangenheit. Schon manchen ließ er glorreich ein 
3. Die Glocke schlägt vom hohen Turm, Unb ieh ihn viß wicher au 
Daß alles ringsum bebt und dröhnt, 8. Wo blieb des Weltbeherrschers 
Als ob von altem Kriegessturm Macht? 
Ein Nachhall aus dem Erze tönt' — Wo blieb er selbst, der stolze Held? 
As ob der Turm mit Glockenmund Der Sieger in so mancher Schlacht 
In feierlichem Donnerlaut Eilt jetzt in wilder Flucht durchs 
Erzählt', was ihm von alters kund, Feld. 
Der Stadt, auf die er niederschaut. Und die im Unglück wie im Glück 
4. Nicht, was die Zaren einst getan Voll Zreue fplten urr u 
In machtvollkommnem Blutgelüst — It lend ließ er zurüd 
Nicht, wie sie dem Mongolen-Chan Bedacht auf eigne Rettumg nur. 
Feig des Gewandes Saum geküßt — 9. Des großen Kaisers Ruhm ward 
Vor mir ersteht ein andrer Held stumm, 
Aus blutgetränktem Schlachtgefild, Die Herrlichkeit schwand wie ein Traum; 
Der Mächtige, der die ganze Welt Ein Windhauch blies sein Weltreich um, 
Erschütterte mit Schwert und Schild. In Rußland ist für Tote Raum. 
5. Wie eine Sonne sah man ihn De laen Mhler hingestreckt 
Einst aus dem Meere auferstehn, In nen ren Grab von Schnee; 
Wie eine Sonne sah man ihn Jede slumm. ippe weckt 
Im Meere wieder untergehn; In ferner Heimat jammernd Weh. 
Sein Haupt umschlang ein Strahlen— 10. Um Frankreichs Söhne klag' ich 
kranz, nicht — 
Doch streng und kalt war sein Gesicht; Sie teilten Ehre und Gewinn 
Er hatte all der Sonne Glanz, Des Kaisers wie sein Strafgericht, 
Nur ihre Wärme hatt' er nicht! Sie haben ihren Lohn dahin. 
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