Full text: Die Neuzeit (Teil 2)

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kämpfer freier philosophischer Forschung. Unter dem Einfluß-von Leibniz und Wolff 
bildete sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. eine Populär Philosophie, 
die unter dem Namen der deutschen Aufklärung zusammengefaßt wird. 
Gleichzeitig regte sich in der deutschen Dichtung ein eigenartiges Leben; 
aus dem engen Kreise der gelehrten Bildung heraustretend, ward sie wieder 
Sache des Volkes und des Gemütes. Klopstocks „Messias" (die drei 
ersten Gesänge 1748) wirkte durch die Macht unmittelbaren Gefühls und' 
den Ausdruck reinster Begeisterung epochemachend für das deutsche Empfinden. 
Gerade jetzt trat Friedrich der Große in den Mittelpunkt des 
deutschen Levens; er lieh der Lehr- und Denkfreiheit die Kraft des welt- 
lichen Arms und brachte durch seine Heldenthaten den „ersten wahren und 
höheren eigentlichen Lebensgehalt" in die deutsche Dichtung; in Kriegsliedern 
und Oden ward er selbst gefeiert, in „Minna von Barnhelm" entstand 
(1763) das erste wirklich nationale Drama. 
Das kritische Genie Gotthold Ephraim Lessings (1729—1781) zog 
darauf die Grenzen der Dichtkunst und bildenden Kunst (Laokoon 1766), stellte, 
auf das Altertum zurückgehend, für Epik und Drama mustergültige Regeln auf 
und vernichtete, wie Friedrich II. auf dem Schlachtfelde den Ruhm französischer 
Waffen, so in der Litteratur die Klassicität der französischen Stücke. Gleich- 
zeitig wies Winckelmann Malerei und Bildhauerkunst auf die Schönheit der 
antiken (hellenischen) Formen hin. 
Noch war indes der deutsche Geist nicht fähig, sich dem ruhigen Genüsse 
altklassischer Schönheit hinzugeben und von ihr Ebenmaß und Reinheit des 
Stiles zu lernen; in der Baukunst überwog der Rokokostil (vgl. S. 
42. 2), Malerei und Plastik schmückten fernerhin die fürstlichen Schlösser 
und Gärten mit allegorischen. Gemälden und Figuren; die Dichtkunst hatte, 
ehe sie sich zu dem Ideale reiner und freier Menschheit erhob, eine Sturm- 
und Drangperiode zu bestehn, die unter dem Einfluß von Rousseaus 
neuer „Helo'ise" (1761) anhob (über Rousseau vgl. unt. franz. Aufklärung). 
Der Chorführer der neuen Bewegung ward Johann Wolfgang Goethe 
(1749—1832); er hat das Verlangen nach voller Entfaltung der Menschennatur 
am stärksten empfunden und in seiner Jugend am leidenschaftlichsten ausgesprochen. 
Was seine Zeit unbestimmt empfand, spiegelte er in seinen Erstlingswerken 
wieder, die Empörung gegen den Zwang einer gesellschaftlichen Ordnung, die sich 
überlebt hatte (im Götz von Berlichingen 1773), die krankhafte Sehnsucht 
nach dem Naturzustande der Unschuld und Einfalt und den selbstquälerischen 
Weltschmerz (in den Leiden des jungen Werther 1774), den titanenhaften 
Drang nach schrankenloser Erkenntnis und Thatkraft (im Faust, dessen erste 
Bearbeitung in die Jahre 1773—1775 fällt). In seiner Lyrik traf er den 
Volkston, auf den ihn Herder hingewiesen hatte, fand er die wahre Natur, 
nach der man suchte, sprach er die echte Empfindung aus, die sonst so oft in 
Empfindsamkeit ausartete. . 
Die reine Vernunft zur Geltung zu bringen und die volle Menschheit 
herauszubilden, mühten sich Wissenschaft und Kunst ab; in grellem Widerspruch 
damit standen die gesellschaftlichen und staatlichen Zustände (vgl. Ennlia 
Galotti und Kabale und Liebe). Unter dem Drucke bevorrechteter Stände 
und von dem freien Anteil an dem Staatswesen ausgeschlossen, versank man 
einerseits in einen Subjektivismus, der kein anderes Lebens- und Sitten-
	        
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