§ 58. Die verfassunggebende Nationalversammlung. 101
Die Hauptstadt wurde von dem republikanischen Gemeinderate und
den Klubs beherrscht; die demokratischen Ideen waren in dem Klub der
Jakobiner, die monarchischen in dem der Feuillauts vertreten. Auch in
den Provinzen brach der Aufruhr aus, Brandstiftungen nahmen überhand.
Die Nationalversammlung (Assemblee nationale Constituante) be¬
gann mit der Beratung der künftigen Staatsordnung. In der Nacht des
4. 5. August hob sie die ständischen Vorrechte samt Fronden und Feudal-
lasten aus. Bald darauf trat die Versammlung, ganz in den Bahnen
der Aufklärungsgedanken, in die Erörterung der Menschenrechte ein, der
allgemeinen Freiheit und Gleichheit und der Volkshoheit. Sie
wurden noch im August feierlich verkündigt.
Am 5. Oktober zogen zuchtlose Volkshorden von Paris nach Ver-
sailles, stürmten das Schloß und bedrohten die königliche Familie, die
nur durch die Dazwischeukuust Lafayettes gerettet wurde, der König aber
mußte nach Paris in die Tuilerieu übersiedeln. Auch die Natioualver-
sammluug folgte bald darauf nach Paris. Damit wurde der gewalt-
same Umsturz aller Verhältnisse eingeleitet.
Die neue Verfassung. Die Versammlung hielt es für ihre wich-
tigste Aufgabe, Frankreich eine neue Verfassung zu geben. Sie ging dabei
von den allgemein verbreiteten Gedanken der Volkshoheit aus und mußte
daher die bestehende, seit Jahrhunderten eingewurzelte Ordnung des
Staates niederreißen. Sie beseitigte deshalb das unbeschränkte König-
tum und vernichtete die Vorrechte. In der neuen Verfassung wurde die
höchste Gewalt geteilt. Die Gesetzgebung wurde der National-
Versammlung übertragen und dem Könige ihren Beschlüssen gegenüber
nur ein ausschiebendes Veto eingeräumt. Die ausübende Gewalt sollte
der Krone zustehen, aber dieses Vorrecht war nur scheinbar, da die neu-
gebildeten dreiundachtzig Departements und die Gemeinden volle
Selbstverwaltung erhielten und alle ihre Beamten, darunter Offiziere,
Geistliche, auch Richter, selber wählten. Sämtliche Beamte blieben über-
dies nur kurze Zeit in ihrer Stellung.
Mit den Beratungen über die Verfassung vollauf beschäftigt, hatte
sich die Verfammlung um die Ratio na lfchnld nicht gekümmert. Die
Geldverwaltung war darüber erst recht in völligen Verfall geraten.
Um endlich ihrer Zerrüttung abzuhelfen, zog man auf Antrag des Bischofs
Talleyrand und Mirabeans die Kirchengüter und später die Güter der
Emigranten ein und stellte Schuldscheine (Assignaten) aus, die durch
jene gedeckt werden sollten. Da man aber später, so oft Geldnot eintrat,
Assignaten auch ohne vorhandene Deckung ausgab, wurden fie allmählich
vollständig entwertet und die Bevölkerung dadurch wirtschaftlich aufs
schwerste geschädigt. Mit dem Verkaufe der auf 400 Millionen Franks
geschätzten Güter vollzog steh eine große Verschiebung des Besitzes von
Grund und Boden. Auch die Orden wurden ausgehoben, mit Ausnahme
derer, die sich mit Krankenpflege und Jugeuduuterricht beschäftigten.