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Kaiser Wilhelm IT.
sehen; dann warf die schreckliche Krankheit ihn nieder. Furchtbare Schmerzen,
Erstickungsanfälle quälten ihn; aber er blieb ein Held. Er hat alle Qualen
standhaft ertragen, und eins Der letzten Worte, die er seinem Sohue Wilhelm
aufschrieb, war: „Lerne leiden, ohne zu klagen!" Sein Tod am
188815. Juni 1888 war eine Erlösung.
„Ein Herz voll Güte und Liebe
Mr eroig nicht mehr schlägt —
O du Deutschland, armes Deutschend.
Was wurde dir auferlegt! (Wildenbnich.)
XI. Kaiser wilbelin II.
A. Unseres Kaisers Werdegang. Das Jahr 1888 hat keinen Kaiser-
Geburtstag gehabt; zwei Kaiser starben vor ihrem Geburtstage, und der
dritte, unser Kaiser Wilhelm, hat seinen Geburtstag am 27. Januar. Er
1859 wurde im Jahre 1859 geboren, war also noch nicht dreißig Jahre alt, als
er zur Regierung kam. Was hatte er bis dahin erlebt? Sein Vater war
der einzige Sohn des alten Kaisers, so hoffte man sehr, daß die Geburt
eines Prinzen bald die Erbfolge sicherte. Als nun 101 Kanonenschüsse deu
Berlinern verkündeten: „Es ist ein Prinz!" da war große Freude, besonders
als General Wrangel, detL das Kind gesehen hatte, der Volksmenge berichtete:
„Kinder, es ist ein tüchtiger Rekrut!" Erzogen ist er wie andere deutsche
Kinder. Der schlichte Sinn seines Vaters, die praktische Art seiner englischen
Mutter gestatteten keine „priuzliche" Erziehung. In der kronprinzlichen
Kinderstube, in der es bald noch einen Prinzen und drei Prinzessinnen gab,
ging es zu wie in anderen Kinderstuben gebildeter deutscher Eltern, die auf
gesunde Pflege des Körpers und Geistes achten. Auf dem nahen Gute
Bornstedt lernte der junge Prinz Landleben kennen und spielte fröhlich mit
Knaben seines Alters. Dort lernte er auch rudern und schwimmen und
— fiel auch einmal ins Waffer. Früh hat ber Prinz seine Willenskraft
gezeigt. Er hat bitrch einen Unfall eine Schwäche am linken Arm; aber
er wollte nicht, baß ihn das hinderte, und niemand merkte es und
merkt es ihm an. Er ist ein kühner Retter und ber beste Jäger im Reich
geworden.
Dazu mußte er ernst lernen. Morgens von 6—9 Uhr (im Winter von
7—9) waren immer bie ernstesten Unterrichtsstunben. Auch bekam er in
Dr. Hinzpeter einen geistvollen, eifrigen Sehrer. Als Prinz Wilhelm fünf-
zehn Jahre alt war, schickte man ihn einfach auf bas öffentliche Gymnasium
zu Cassel. Er sollte genau dasselbe leisten wie junge Deutsche seines
Alters und sollte sein Volk kennen lernen; dazu sollten ihm die Zerstreuungen
des Hofes ferngehalten werden. Das kronprinzliche Paar machte zuvor,
ganz wie andere Eltern, dem Direktor und dem Klassenlehrer einen Besuch.