Full text: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

Kurze Charakteristik des Rationalismus und Pietismus. 121 
Ideen Leibnizens, der philosophische Schulmeister der Nation geworden". „Er 
hat das große Publikum philosophisch denken gelehrt — selbst Bauern haben 
nach seiner Behauptung seine Logik gelesen — und dadurch die theologischen 
Fesseln alles höheren Geisteslebens der Durchschnittsdeutschen mit gelöst. Er, 
der Mann der trockenen Nüchternheit, war recht eigentlich der Mann der 
mittelmäßigen Geister, die aber doch die Grundlage für die weitere Entwicklung 
bildeten; seine Klarheit, Glätte und Ordnung war für sie geschaffen und be¬ 
förderte die Lehrbarkeit seiner Anschauungen." (Steinhaufen.) 
Die kulturgeschichtliche Bedeutung Wolffs beruht aber nicht auf seinen 
Leistungen als Philosoph von Fach, sondern auf den praktischen Einwirkungen 
des Systems seiner Philosophie auf die Entwicklung der Ethik, der Religions¬ 
philosophie und des Staatsrechts; „denn gerade diese Gebiete ergriff Wolff 
und spann hier Leibnizens Ideen zu jenem ausführlichen und platten Kanon 
der Aufklärung aus, der zu den Zeiten Friedrich Wilhelms I. und auch viel¬ 
fach noch Friedrichs des Großen männiglich als der Weisheit Schluß aufs 
leichteste einging". (Lamprecht.) 
a. Die religiösen Anschauungen der Wolffschen Philosophie charakterisieren 
sich in ihrer Beherrschung durch das rationalistische Nützlichkeitsprinzip als 
eine reine Vernunftreligion; alles ist von dem gütigen Schöpfer zum 
Nutzen des Menschen geschaffen worden nach einem von Anbeginn feststehenden 
vernünftigen Weltplane. Für das Walten übernatürlicher Kräfte, für die Willkür 
des Wunders und der Offenbarung bleibt in dem Zusammenhang der durch 
eine lückenlose Kausalverknüpfung verbundenen Dinge kein Raum übrig; die 
Vernunft ist daher die Quelle auch der religiösen Erkenntnis, das Dasein der 
Gottheit, deren Weisheit und Größe läßt sich verstandesmäßig erkennen und 
beweisen aus zweckmäßiger Durchführung der anthropozentrischen Weltordnung. 
Ausbildung des Verstandes ist daher auch das wichtigste Mittel religiöser 
Bildung. 
ß. Auch die Ethik gründete sich nach den Lehren der Wolffschen 
Philosophie durchaus auf den Kultus des Verstandes. Vollkommenheit des 
Individuums sei das Ziel der sittlichen Bildung. Da die Seele nun als eine 
vorstellende Substanz zu denken sei, werde diese Vollkommenheit ausschließlich 
durch die Ausbildung der Verstandeskräfte bedingt. 
y. Da die Vollkommenheit des für sich lebenden Einzelmenschen als das 
höchste Ziel der vernünftigen Weltordnung galt, war der Staat nach rationa¬ 
listischer Auffassung nichts anderes als eine Einrichtung, welche die äußeren 
Vorbedingungen für die möglichst vollkommene Ausbildung des Individuums 
zu garantieren habe; die staatliche Gesellschaftsordnung erschien also dem 
rationalistischen Denken nicht als ein lebendiger Organismus, der sich nach 
ureigensten Gesetzen fortentwickle, sondern nur als eine Summierung von 
Einzelpersonen. 
e. Die Werkzeuge und Mittel zur Verbreitung des rationalistischen 
Geistes in den gebildeteren Kreisen des Volkes fanden sich in den Universitäten, 
den moralischen Wochenschriften und den geheimen Gesellschaften. 
a. Zunächst wurden naturgemäß die Universitäten (Halle, Leipzig, 
Göttingen, Erlangen, Tübingen) die vornehmlichsten Träger der neuen Welt¬ 
anschauung, vor allem Leipzig, wo die aufklärerische Dichtung und das neue 
Theater entstand (Gottsched).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.