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33. Rudolf von Habsburg. 1273—1291.
V. Die Zeit ber beginnenden Auflösung des Reiches.
(Bon Rudolf von Habsburg bis zu Karl V.)
33. Rudolf von Habsburg. 1273—1291.
1. Rudolfs Wahl und Krönung. Fast volle zwei Jahrzehnte
dauerte die „kaiserlose Zeit". Das deutsche Volk litt schwer unter
der zunehmenden Rechtlosigkeit und sehnte sich wieder nach einem
Könige. Als der englische Prinz, der den Titel eines deutschen
Königs geführt hatte, endlich gestorben war, entschlossen sich die deutschen
Fürsten zur Neuwahl. Nur noch sieben Fürsten, die bereits früher
ein Vorrecht vor den andern besaßen, übten die Wahl oder Kur aus.
Man nannte sie daher Kurfürsten. (Kur von küren = wählen.)
Diese wollten aber keinen mächtigen Herrscher über sich haben und
wählten den Grafen Rudolf von Habsburg, der in der heutigen
Schweiz zwar reichen Landbesitz hatte, aber doch nicht zu den mächtigen
Reichsfürsten gehörte. Der Burggraf Friedrich vou Nürnberg, ein
Hohenzoller, und der Erzbischof von Mainz, den der Graf Äudolf
einmal auf einer Reise nach Rom sicher über die Alpen geleitet,
hatten besonders für die Wahl gewirkt. (Schillers Gedicht: „Der Graf
von Habsburg"). Rudolf war bereits 55 Jahre alt, als er König
wurde. Er belagerte gerade Basel, als ihm der Burggraf von Nünt-
berg die Nachricht vou seiner Wahl überbrachte. Sogleich schloß er
Frieden mit dem Bischof von Basel und zog nach Aachen, um sich
krönen zu lassen. Als er vor dem Altare stand, den Hnldignngseid zu
empfangen, fehlte das Zepter. Da nahm Rudolf ein Kruzifix und sprach:
„Das Zeichen, durch welches die Welt erlöst ist, kann auch wohl als
Zepter dienen". — Nach dem trügerischen Glänze der römischen Kaiser-
kröne begehrte er nicht; er ist nie nach Italien gezogen, sondern be-
schränkte feine Tätigkeit streng auf Deutschland. Dennoch nannte ihn
das deutsche Volk „Kaiser Rudolf". Wie Rudolf die Römerzüge und
die Kaiferkrönnng verschmähte, so auch die meisten seiner Nachfolger:
gleichwohl führten die deutschen Könige fortan ohne Ausnahme den
Titel „Kaiser".
2. Rudolfs Persönlichkeit. Rudolf war ein hochgewachsener,
hagerer Mann mit blassem Gesicht und starker Adlernase. Gelehrte
Bildung war ihm fremd; er sprach nur deutsch; aber er war ein kluger
Staatsmann, ruhig und nüchtern, der bei allen Dingen seinen eigenen
Vorteil im Auge behielt. Dabei war er schlicht und derb, freundlich
und leutselig, ein Liebling des Volks. Man erzählte sich, wie der
König einst, als auf einem Kriegszuge die Nahrungsmittel ausgegangen
waren, mit seinen Kriegern die Rüben aus dem Acker gezogen und
gegessen, und wie er ein andermal sein zerrissenes Wams selbst geflickt
habe. Jedermann, ohne Unterschied des Standes, hatte freien Zutritt
zu ihm. Einst, da die Wache einen gemeinen Mann, der ihn zu sprechen
wünschte, nicht hereinlassen wollte, rief er: „Lasset ihn doch herein!