Full text: Geschichte für Mittelschulen und ähnliche Lehranstalten der Provinz Sachsen

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der Trojaner treten hervor der vielgeprüfte König Priamus, 
der ebenso tapfere wie edle Hektor, der tüchtige Aneas und der 
stutzerische Päris. — Die Odyssee erzählt von den mannigfaltigen 
Irrfahrten und Abenteuern des nie verlegenen Odysseus. Wir sehen 
ihn oft in Lebensgefahr: bei dem Riesenvolk der Lästrygouen, 
bei dem einäugigen Riesen Polyphem, bei der Zauberin Circe; 
mit Mühe entgeht er den Meerungeheuern der Scylla und 
Charybdis. Als ihn dann endlich ein gütiges Geschick nach der 
Heimat J'thaka zurückführt, da muß er sich als Bettler in die Burg 
seiner Väter stehlen. Nur mit größter List und Mühe gelingt es 
ihm, das böse Volk der Freier zu töten, die das Gut ihres Königs 
verprassen, um seine Gemahlin Penelope zu zwingen, einen von 
ihnen zu heiraten. 
2. Die Helden. Manches, was die homerischen Helden treiben, erscheint 
uns heute roh. Gelegentlich ein Nachbarvolk zu überfallen, die Männer hin- 
zumorden und die Frauen mit den Schätzen wegzuführen, ist bei ihnen durch- 
aus erlaubt Die Blutrache gilt als ein heiliger Brauch; Ausbrüche von 
Grausamkeit siud ziemlich häufig. Aber die edlen Züge überwiegen. Der 
Eid ist heilig, die Achtung vor den Göttern groß; der Fremde, der hilfeflehend am 
Herde Schutz sucht, wird gastlich aufgenommen; Züge von Großmut sind nicht 
selten. Das hervorragendste Beispiel dieses Gemisches von Edelmut und Roheit 
ist Achilles selbst. Rührend erscheint seine Freundestreue gegen Patroklus. 
Als dieser von Hektor im Kampfe erschlagen wird, kennt sein Schmerz 
keine Grenzen. Er ruht nicht eher, als bis der Sieger von seiner Lanze dahinge- 
streckt ist. Jetzt aber nimmt er noch fürchterliche Rache an dem Leichnam. 
In wilder Freude bindet er ihn an seinen Kriegswagen, schleift ihn zum Entsetzen 
der Trojaner mehrmals um die Stadt und wirft ihn dann den Tieren zum 
Fräße hin. Als dann aber Priamus, der alte Vater Hektars, seine Kniee 
umfaßt und um Rückgabe des Leichnams bittet, da ist er zu Tränen gerührt 
und gewährt die Bitte, nicht ohne die Leiche vorher reinigen und salben zu lassen. 
3. Völkerschaften, Könige und Edle. Die Griechen erscheinen in jenen 
Gedichten zwar als ein Gesamtvolk, dem das Gefüllt der Zusammen¬ 
gehörigkeit durchaus eigen ist, doch zugleich zerfallen sie in eine stattliche 
Anzahl von selbständigen Völkerschaften. An der Spitze einer jeden er- 
scheint, von allen hochgeehrt, der König. Er leitet seine Abstammung ge- 
wohnlich von den Göttern ab. Ihm zur Seite stehen die Edlen. Mit 
ihnen pflegt er Rats, mit ihnen schmaust er, und die Freuden des Mahles 
werden durch Darbietungen eines ehrwürdigen Sängers gewürzt. Birgt seine 
Schatzkammer auch manches schöne Gesäß von Edelmetall, so ist doch sein 
Hauptreichtum das Vieh, und Königssöhne verschmähen es nicht, die Herden 
der Väter zu weiden. 
4. Die Frauen. Hoch in Ehren stehen die Frauen der Könige. Sie 
schalten im Haushalte unumschränkt und beaufsichtigen mit ruhiger Würde die 
Sklavinnen. Unter ihren kunstgeübten Händen entstehen die schönsten Gewebe. 
Die Königstochter Nausikaa zieht selbst mit den Mägden zur Wäsche aus, und 
nach getaner Arbeit vergnügen sich die Mädchen am fröhlichen Ballspiel. Der 
edelste Frauencharakter aber ist Penelope. Zwanzig Jahre wird ihr Ge- 
mahl durch ein widriges Geschick von der Heimat ferngehalten. Aber fte 
hofft trotzdem stets auf feine Wiederkehr, und alle Versuchung und alles 
Drängen der Freier vermag nicht, sie um eines Haares Breite von ihrer 
Treue abzubringen. 
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