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keinen Familienkreis hat. dessen Anblick ihn erheitert, wird
nur betrachten, was er muß, und ernst sein. Bei einem
Denker, wie unser Schlachtenmeister es ist, findet das ganz
besonders seine Anwendung. So lange wir ihm nicht dicht
gegenüberstehen, ihn weder reden hören, noch mit seiner
Umgebung vergleichen, werden wir nie einen vollen Eindruck
von ihm erhalten. Es ist, als ob die Natur sich bei ihm
Mühe gegeben hätte, durch äußeren Schein seine Seelen¬
eigenschaften zu verdecken, unter unscheinbarer Hülle den
Geist zu bergen, welcher unsere Hoffnung und der Schrecken
unserer Feinde geworden ist. — Blickt dieser Mann mit seinem
stillen, tiefen Auge Dich indes an, dann pocht Dir gewiß
das Herz; Du fühlst, daß ein überlegener Geist Dich be¬
obachtet und Dich jede Unnatur vor ihm zum Dutzendmenschen
erniedrigt. Da Moltke andererseits, nächst Bismarck, vielleicht
der wunderbarlichste Kenner der Menschenseele ist, dazu aber
ein wahrer Menschenfreund, so genügt, daß man sich be¬
scheiden so vor ihm gebe, wie man eben immer ist, um
sicher zu sein, ihm am wenigsten zu mißfallen. Der weit
jüngere Eindruck, den er ganz in der Nähe auf uns macht,
wird dadurch verstärkt, daß Moltke völlig bartlos ist. Seine
Haltung hat nichts militärisch Steifes, vielmehr eine Freiheit,
die mehr an den Denker als den Soldaten erinnert. Gänzlich
ohne Affekte und ohne Effekt, benimmt er sich doch wie jemand,
der immer auf dem „Wer da" steht. Gewiß spricht er wenig,
aber vorzüglich. Man sieht, das Wort eilt nie dem Gedanken
voraus. Trockenheit oder Pedanterie ist seinem Wesen weit
entfernt, und der warme Herzenston, welcher bei bestimmten
Anlässen durch seine Rede leuchtet, leiht ihr in solchen Augen¬
blicken etwas eigentümlich Durchgeistigtes. In seinen Mienen,
die, von fern gesehen, etwas Asketisches zu haben scheinen,
schlummert — blickt man länger in sie hinein — eine ruhige
Melancholie. Sie ist der Schlüssel seines Herzens. Je länger