— 10 — 
reich sich mit dem Norddeutschen Lloyd in Bremen hinsichtlich der Zahl und 
des Tonnengehalts der Schiffe, namentlich aber bezüglich der Geschwindigkeit 
der Schnelldampfer messen könne. — 
Gerade Frankreich anlangend, das sich noch immer mit Recht als die 
führende Macht unter den romanischen Staaten ansieht, so liegen die Verhält¬ 
nisse auch noch in anderer Beziehung besonders ungünstig. 
Die geringe Zunahme der Bevölkerung hat die französischen Statistiker 
seit langer Zeit beunruhigt; ein Arzt und Mitglied der Akademie der Medicin, 
Lagneau, hat 1889 seinen Landsleuten die politische Bedeutung dieser That- 
sache eindringend vorgestellt; allein er wird das Fortschreiten der Entvölkerung 
Frankreichs nicht aufhalten können, da diese auf denselben Gründen beruht, 
welche einst den Untergang Roms herbeiführten, d. h. aus der Ubercivili- 
sation hervorgeht: dem Hang zu behaglichen Wohlleben1) beim Volke, 
der Genufssucht bei den höheren Ständen und dem allgemeinen Verfall 
der Sittlichkeit, und hier gerade hat bisher der Katholicismus eine Re¬ 
generationskraft nicht bewährt. 
§ 10. 
Bei diesem allgemeinen Zurückgehen der Romanen und dem Uberwiegen 
der Germanen wird man demnach in dem Siege Deutschlands über Frank¬ 
reich und in dem Erstehen des Deutschen Reiches mindestens den Anfang 
eines endgültigen Abschlufses des langen Kampfes sehen dürfen, um so mehr, 
als das einige und geistig selbständige, d. h. von dem Papsttum freie 
Deutsche Reich, auf das die gesamte historische Entwickelung fast von dem 
Auftreten der Germanen an deutlich hindrängte, von Frankreich und dem 
Papsttum stets zu verhindern gesucht wurde. Es kommt dazu, dafs die Eigen¬ 
art des deutschen Volkes, das nie wie Frankreich kriegerischen Ruhm an sich ge¬ 
schätzt hat, sondern stets auf ruhigen Erwerb der Güter des Friedens ausgingr 
Europa eine Bürgschaft des Friedens bietet, den Frankreich durch Selbst¬ 
überhebung und unberechenbare Leidenschaftlichkeit unaufhörlich bedroht 
hat: das Deutsche Reich hat nicht nur den Willen, den Frieden aufrecht zu 
erhalten, sondern auch die Macht, und ein Staat, in der Mitte Europas ge¬ 
legen, der diese Eigenschaften besafs, fehlte bisher dem europäischen Staaten- 
system. Es wird sich erfüllt haben, was einst zur Zeit der tiefsten Er¬ 
niedrigung Deutschlands ein Politiker von Geist gesagt hat: ‘Europa ist 
durch Deutschland gefallen, durch Deutschland mufs es wieder 
auferstehen’.2) 
Wohl hat sich sofort nach Errichtung des protestantischen Kaisertums der 
andere frühere Gegner Deutschlands, das Papsttum, wieder erhoben und dem 
neuen Reiche in Verbindung mit den Elementen, welche ein mächtiges deutsches 
*) Der Franzose will nur bis zum 50. Jahre arbeiten; bis dahin will er so viel erworben, 
haben, dafs er bei mäfsigen Ansprüchen bequem von seinen Renten leben kann. Es stimmt 
hiermit, dafs das französische Arbeiterversorgungs-Gesetz die Invalidität schon mit dem 
60. Jahre beginnen läfst, während das deutsche das 70. Jahr als Grenze setzt. 
2) Friedr. v. Gentz (1764—1832) in seinen ‘Fragmenten zu der Geschichte des politischen 
Gleichgewichts in Europa’, die zwei Auflagen erlebten (1804 und 1806). Damals war G. noch 
nicht der servile Diener des Metternichschen Systems, der seine hohen Fähigkeiten ganz in den 
Dienst des Geldes stellte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.