Full text: Der Freischöffe von Berne (3)

— li¬ 
scht, daß wir ihn verlieren?" „Verlieren?" sagte der 
Freischöffe trübe lächelnd; „nein, verlieren werden wtr 
den Sohn nicht. An unsern Herzen wird er auch ferner 
seinen Platz finden, denn sein gutes Herz weiß nichts von 
der bösen That, die er begangen. Wenn er seine Strafe 
erduldet hat und dem Gesetze Genüge geschehen ist, wird 
er wieder zu uns zurückkehren und unsere Liebe wird ihm 
bleiben; — aber ack, als ein armer Verstümmelter, der durch 
seine Gestalt das Mitleid seiner Mitmenschen erweckt, 
wird er fortan unter uns weilen. Du weißt, mit welcher 
harten Strafe unser Gesetz den belegt, der die Deiche 
beschädigt; die frevle Hand, mit welcher er das Ver¬ 
brechen beging, ist dem Beil des Henkers verfallen!" 
Mit thränenerstickter Stimme hatte der Alte _ diese 
Worte gesprochen; sein Weib aber schlug beide Hände 
vor ihr Gesicht, und der Schmerz der geängsteten Mutter 
um ihr geliebtes Kind machte sich in einem lauten 
Aufschrei und in krampfhaftem Schluchzen Lust. 
Als die Sonne gesunken war, setzte sich bie ganze 
Familie, Knechte und Mägde, um den großen Tisch am 
Herde zum gemeinsamen Abendbrot. Auch für den jungen 
Bolko war die Schüssel an den gewohnten Platz gestellt, 
aber sein Stuhl am untern Ende der langen Tafel blieb 
leer. Schweigend wurde das Mahl verzehrt, aber keinem 
wollte es schmecken; es war, als wenn allen die Bissen 
im Schlunde stecken blieben. Mit einem kurzen Gruß 
entfernten sich, nachdem der Alte das gewohnte Abend¬ 
gebet gesprochen, zuerst die Knechte; aber während die 
Mägde damit beschäftigt waren, Schüsseln und Teller zu 
reinigen, standen die Knechte in leise flüsterndem Gespräch 
unter den Eichbäumen im Hofe, und weitn die Dunkel¬ 
heit es erlaubt Hätte, so Hätte man bemerken können, wie 
die Augen blitzten und die schwieligen Fäuste sich drohend 
ballten. Was hier von wenigen beraten wurde, das 
teilten sie schon am andern Morgen, als sie mit den 
Jünglingen der benachbarten Höfe und Ortschaften wieder 
zum Deichbau zogen, ihren Altersgenossen mit, und am 
Abend Hätte man sehen können, wie die Jünglinge die
	        
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