Full text: Ein Besuch im Benediktiner-Kloster (H. 3)

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Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen 
Besuches geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüter fühlten, 
daß einer Frau Huldigung gebührt. 
Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz 
gefallen, daß der linke Ärmel seines Gewandes mit einem Loch ge¬ 
schmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag 
ungeflickt geblieben; aber jetzt galt kein Verzug. Mit Nadel und 
Zwirn gewaffnet saß er auf dem Schrägen und besserte den Schaden. 
Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen 
eilte neue Sohle an und festigte sie mit Nägeln. Er summte eine 
Melodei, daß die Arbeit besser gedieh. 
Radolt, das Denkmännlein, ging mit gerunzelter Stirn auf 
seiner Zelle auf und nieder, vermeinend, es werde sich eine Ge¬ 
legenheit ergeben, in frei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm 
zu preisen. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen zu 
Grunde legen: „Sie glauben auch, daß den Frauen etwas Heiliges 
und Zukunftvoraussehendes innewohne, darum Verschmähenste niemals 
ihren Rat und fügen sich ihren Bescheiden." — Leider blieb die 
Gelegenheit zur Anbringung einer Rede aus, weil er sie nicht zu 
finden verstand. 
In anderer Zelle saßen der Brüder sechs unter dem riesigen 
Elfenbeinkamm, der an eiserner Kette von der Decke herabhing — 
Abt Hartmuts nützliche Stiftung. Die vorgeschriebenen Gebete 
murmelnd, erwies einer dem andern den Dienst sorglicher Glättung 
des Haupthaares. Ward auch manch überwachsene Tonsur in jener 
Zeit zu strahlendem Glanze erneut. 
In der Küche aber ward unter Gerold, des Schaffners, Leitung 
eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ. 
16. Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den 
frömmsten Brüdern noch keiner unwillig gehört: der Ruf zur Abend¬ 
mahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben 
Säulen teilten den luftigen Saal ab; an vierzehn Tischen standen 
wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, 
Priester und Diakonen. Sie erwiesen dem hohen Gast keine sonder¬ 
liche Aufmerksamkeit. Das Amt des Vorlesers vor dem Imbiß 
stund in dieser Woche bei Ekkehard, dem Pförtner. Der Herzogin
	        
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